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Bildungssystem Vergleich 1950 mit heute

29. Juni 2025 / Zukunft2

Vergleich des westdeutschen Bildungssystems um 1950 mit dem heutigen deutschen Bildungssystem

Äußere Rahmenbedingungen

Lehrkräftemangel: Anfang der 1950er-Jahre war das westdeutsche Schulsystem stark von einem Lehrkräftemangel geprägt. Viele Lehrer waren im Krieg gefallen oder durften nach der Entnazifizierung zunächst nicht unterrichten.

Um den Notstand zu lindern, wurden pensionierte Lehrer reaktiviert und in den frühen 50er-Jahren Schnellkurse zur Lehrerausbildung eingeführt. Die so ausgebildeten „Mikätzchen“ (benannt nach Kultusminister Paul Mikat) waren häufig notqualifizierte junge Frauen.

Trotz solcher Maßnahmen blieb der Mangel an Lehrkräften ein Dauerthema. – Heute besteht erneut in vielen Regionen und Fächern Lehrkräftemangel. Gründe sind u.a. Pensionierungswellen, geburtenschwache Jahrgänge und eine ungleichmäßige Fächerwahl im Lehramtsstudium.

Besonders an Grundschulen und in MINT-Fächern fehlen Lehrkräfte, sodass vermehrt Quereinsteiger und Aufstockungen von Teilzeitstellen nötig werden. Anders als 1950 liegt das Problem heute weniger an fehlender Ausbildungskapazität (es gibt genügend Absolventen), sondern an der Attraktivität und Verteilung des Berufs (z.B. Ballungsraum vs. Land) sowie Zusatzaufgaben (Integration, Inklusion) im Schulalltag.

Zustand der Schulgebäude: Um 1950 waren viele Schulgebäude durch Kriegseinwirkungen zerstört oder beschädigt. Es herrschte akute Raumnot, Klassenzimmer waren knapp und oft notdürftig hergerichtet. An zahlreichen Orten musste im Schichtbetrieb unterrichtet werden – z.B. bekam eine Klasse nur stundenweise Unterricht, danach nutzte die nächste Klasse den Raum. Mangels Heizmaterial blieben Klassenräume im Winter oft kalt. – Heute sind die Schulen flächendeckend wiederaufgebaut und es stehen ausreichend Schulräume zur Verfügung. Allerdings gibt es in vielen Kommunen einen Sanierungsstau: Zahlreiche Schulgebäude (bes. aus den 1960er/70er-Jahren) benötigen Renovierung (z.B. bei Dächern, Toiletten, Lüftung). Zugleich steigen Anforderungen an die Infrastruktur – etwa Ganztagsschulen brauchen Mensen und Freizeiträume, und digitalisierte Klassenzimmer erfordern WLAN und Geräteanschlüsse. Bund und Länder investieren daher in Programme wie den DigitalPakt (über 5 Mrd. € für digitale Infrastruktur), doch die Umsetzung verläuft schleppend. Insgesamt sind die äußeren Bedingungen heute materiell weit besser, aber neue Herausforderungen (Energiesparen, IT-Infrastruktur) treten in den Vordergrund.

Ausstattung und Lehrmittel: In der Nachkriegszeit litt die Schule unter Materialmangel. Unterrichtsmaterialien, Bücher und Hefte waren knapp oder veraltet. Zudem mussten nach 1945 alle Schulbücher mit NS-Propaganda aussortiert werden, ohne dass sofort Ersatz bereitstand. Lehrer behalfen sich, indem sie problematische Textstellen in alten Büchern schwärzten oder selbst Arbeitsblätter improvisierten. Oft fehlten Landkarten, Laborgeräte oder sogar Kreide. – Heute verfügen Schulen über vielfältige Lehrmittel – von modernen Schulbüchern bis zu digitalen Medien. Interaktive Whiteboards, Computer und Tablets werden zunehmend eingesetzt, unterstützt durch staatliche Förderprogramme. Auch wenn die Ausstattung nicht an jeder Schule topmodern ist, befinden wir uns im Übergang zur Digitalisierung des Unterrichts, was einen starken Kontrast zur Mangelwirtschaft der 1950er bildet. Schreibmaterial und Bücher stehen reichlich zur Verfügung, und Unterrichtsinhalte können online bezogen werden. Gleichzeitig erfordert der digitale Wandel fortlaufende Investitionen in Hard- und Software sowie Fortbildung der Lehrkräfte – eine Herausforderung, die es 1950 so nicht gab.

Schulverpflegung, Transport und Infrastruktur: Direkt nach dem Krieg litt die Bevölkerung unter Hunger, was auch Schulkinder betraf. Ab 1946 organisierten die Alliierten in den Westzonen Schulspeisungen (z.B. die „Hoover-Speisung“), bei denen bedürftige Kinder eine warme Mahlzeit wie Kakao- oder Erbsensuppe erhielten. Diese Notversorgung – oft die einzige nennenswerte Mahlzeit am Tag – wurde bis ca. 1950 aufrechterhalten. Schulwege wurden damals meist zu Fuß oder per Fahrrad zurückgelegt; Schulbusse waren selten. In ländlichen Regionen besuchten viele Kinder noch einklassige Dorfschulen, größere Distanzen stellten ein Problem dar. – Heutzutage besteht keine Versorgungskrise mehr: In Ganztagsschulen erhalten Schüler Mittagessen, teils kostenfrei oder bezuschusst für Bedürftige, aber eher unter dem Aspekt gesunder Ernährung als Sättigung. Schulmilch- oder -obstprogramme existieren unterstützend. Schülerbeförderung ist heute weitgehend gewährleistet: Schulbusse oder ÖPNV mit Schülerfahrkarten bringen Kinder selbst aus dem Umland in zentrale Schulen. Die Verkehrsinfrastruktur (Straßen, Buslinien) ist ausgebaut, sodass lange Fußmärsche selten nötig sind. Herausforderungen liegen eher in der Organisation (z.B. ausreichende Buskapazitäten) und im Klimaschutz (Umstieg auf emissionsfreie Busse). Insgesamt haben sich die äußeren Rahmenbedingungen von provisorischer Mangelverwaltung 1950 zu einem modernen, besser ausgestatteten Schulsystem entwickelt – wenngleich neue Probleme wie Digitalisierungsbedarf und altersbedingte Sanierungen der Gebäude die Agenda bestimmen.

Bildungsindikatoren

Schulabbrecherquote: In den 1950er-Jahren verließen relativ viele Jugendliche die Schule ohne formalen Abschluss. Genaue Quoten aus dieser Zeit sind spärlich, aber selbst 1970 lag der Anteil der Schulentlassenen ohne Hauptschulabschluss bei 18,9 % – also fast ein Fünftel eines Jahrgangs. Gründe dafür waren früher u.a. eine kürzere Schulpflicht (bis 8. Klasse), die unmittelbare Aufnahme einer Lehre oder Hilfsarbeit sowie Bildungsrückstände durch den Krieg. – Heute ist die Abbrecherquote deutlich geringer: 2021 verließen nur noch 6,2 % der Schüler die Schule ohne wenigstens einen Hauptschulabschluss. Die Schulpflicht wurde ausgeweitet (mindestens 9 bis 10 Schuljahre) und es gibt vielfältige Fördermaßnahmen, um “kein Kind zurückzulassen“. Dennoch bedeutet 6 % immer noch rund 45.000 Jugendliche pro Jahr ohne Abschluss, die am Ausbildungsmarkt benachteiligt sind. Aktuelle Bemühungen zielen darauf ab, diese Quote weiter zu senken (etwa durch Berufsschulangebote für Schulabbrecher und Präventionsprogramme), während ein vergleichbares Bewusstsein für das Problem in den 1950ern erst allmählich entstand. Der massive Rückgang der Schulabbrecherquote illustriert den Erfolg der Bildungsexpansion und sozialen Förderprogramme.

Lese- und Rechenkompetenz: Ein standardisierter Leistungsvergleich existierte 1950 nicht, doch der Fokus der Volksschule lag auf den “Kulturtechniken” Lesen, Schreiben, Rechnen. Nach dem Krieg starteten viele Kinder mit Lernrückständen; Analphabetismus war allerdings bereits damals selten, da die allgemeine Schulpflicht seit langem etabliert war. Die Unterrichtsmethoden waren auf Auswendiglernen und Drill ausgelegt, Disziplin stand im Vordergrund – dies sicherte grundlegende Fertigkeiten, förderte aber wenig kreative oder kritische Denkleistungen. – Heute werden Kompetenzen regelmäßig durch internationale Studien wie PISA gemessen. Deutsche 15-Jährige liegen dabei etwa im OECD-Durchschnitt: 2018 erzielten sie in Lesekompetenz 498 Punkte (OECD-Schnitt: 487), in Mathematik ca. 500 Punkte (Schnitt: ~489).

Bildungssystem Vergleich 1950 mit heute

Bildungssystem Vergleich 1950 mit heute

Allerdings zeigte die PISA-Studie 2018/2022 auch Schwächen: Rund 21–30 % der Jugendlichen erreichen nicht die Grundkompetenzstufe in Mathe, etwa 20–25 % nicht in Lesen. Zum Vergleich: 2000 beim ersten PISA-Schock waren es knapp ein Viertel “Risikoschüler”, insbesondere an Hauptschulen.

Die Tendenz war zwischenzeitlich rückläufig, aber zuletzt verschlechterten sich die Ergebnisse wieder (u.a. pandemiebedingt). Dies deutet auf aktuelle Defizite im Bildungssystem hin – trotz moderner Didaktik und Förderung können viele Schüler grundlegende Texte nicht sicher verstehen oder einfache Rechenprobleme nicht lösen. In den 1950ern gab es keine direkt vergleichbaren Tests, doch man kann annehmen, dass die Spitzenleistungen einzelner Schüler geringer waren (weil Abiturienten sehr selten waren), zugleich aber die Streuung geringer auffiel, da das dreigliedrige Schulsystem Leistungsgruppen strikter trennte. Heute zeigen Studien eine große Leistungsheterogenität: Es gibt eine stärkere Förderung von Spitzenschülern als damals, aber weiterhin eine erhebliche Gruppe leistungsschwacher Schüler, deren Anteil im internationalen Vergleich für Deutschland relativ hoch ist. Insgesamt hat sich das inhaltliche Niveau des Unterrichts deutlich gesteigert – z.B. wird heute Mathematik/Stoff gelehrt, der in den 50ern erst viel später kam –, doch die Ansprüche der Wissensgesellschaft sind ebenfalls gewachsen, was neue Kompetenzlücken offenbart.

Studierendenzahlen und Universitätsabschlüsse: In den 1950er-Jahren war akademische Bildung eine Ausnahme. Nur eine sehr kleine Elite machte Abitur und studierte. 1950 erreichten lediglich 3,6 % eines Altersjahrgangs die Hochschulreife, und 1960 nahmen nur ca. 4 % eines Jahrgangs ein Studium auf. Im Wintersemester 1950/51 waren im westdeutschen Bundesgebiet nur rund 129.000 Personen an Hochschulen eingeschrieben – Frauen stellten dabei weniger als ein Fünftel der Studierenden. Akademiker waren entsprechend auf dem Arbeitsmarkt rar; viele Führungs- und Fachpositionen wurden von Personen mit praktischer Ausbildung besetzt. – Heute erlebt Deutschland die Früchte der Bildungsexpansion: Etwa 50 % eines Jahrgangs beginnen ein Hochschulstudium, und die Zahl der Studierenden hat sich explosionsartig erhöht. Im Wintersemester 2021/22 waren knapp 2,9 Millionen Studierende immatrikuliert – mehr als das 20-Fache der 1950er-Zahl. Gleichzeitig erlangen rund 34 % eines Jahrgangs (2021) die allgemeine Hochschul- oder Fachhochschulreife. Dadurch hat Deutschland heute so viele Akademiker wie nie zuvor; jährlich schließen etwa eine halbe Million Studenten ihr Studium ab. Dieser Wandel spiegelt sich auch in der Berufsstruktur: Wo 1950 der Ingenieur oder Arzt noch Exoten im Bekanntenkreis waren, sind akademische Abschlüsse heute in vielen Familien selbstverständlich. Allerdings stellen die stark gewachsenen Studierendenzahlen auch Anforderungen an Hochschulen (Überfüllung, Betreuungsrelationen) und führen zu Diskussionen über “Akademisierungswahn” vs. Bedarf an Fachkräften in Handwerk und Industrie.

Zur Verdeutlichung der Bildungsexpansion ein paar Kennzahlen im Vergleich:

Bildungsindikator Ca. 1950 (Westdeutschland) Heute (Deutschland gesamt)
Anteil eines Jahrgangs mit Abitur ~3–5 % (sehr geringe Studienberechtigtenquote) ~33–50 % (je nach Definition; 46,8 % Studienberechtigtenquote 2020)
Studierende pro 10.000 Einwohner ~22 (1950) ~350 (2020er Jahre, stark gestiegen)
Frauenanteil unter Studienanfängern 18,5 % (1950) 52,4 % (2021)
Schulabgänger ohne Abschluss Schätzungsweise >15 % (1970: 18,9 %) 6–7 % (2021: 6,2 %)
PISA-Leistungsniveau (Lesen) keine Daten; Fokus auf Grundfertigkeiten 498 Punkte (2018) – oberhalb OECD-Schnitt
PISA Risikoschüler (Lesen) keine Daten (vermutlich viele Volksschüler mit geringem Leseverständnis) ~25 % unter Mindestniveau (2022)
Studierende vs. Auszubildende 129 Tsd. Studierende vs. 971 Tsd. Azubis (Verhältnis 1:7,5) 2,9 Mio. Studierende vs. 1,3 Mio. Azubis (Verhältnis ~2,3:1)

Tabelle 1: Entwicklung zentraler Bildungsindikatoren von ca. 1950 bis heute (Auswahl).

Ausbildungssystem (duale Ausbildung und Berufsreife): Das duale System – also die Kombination aus betrieblicher Lehre und Berufsschule – war in Westdeutschland der 1950er das Rückgrat der Qualifizierung. Die Mehrheit der Jugendlichen (v.a. jene mit Volksschulabschluss/Hauptschulabschluss) begann nach der Schule eine Lehre. 1950 gab es rund 971.000 Auszubildende im Bundesgebiet, verteilt auf klassische Handwerks-, Industrie- und Handelsberufe. Typische Lehrberufe waren z.B. Maurer, Tischler, Schneiderin oder Kaufmann. Die Berufsreife (das grundlegende Ausbildungsreife-Zeugnis) erlangte man mit dem Abschluss der 8. bzw. 9. Klasse; für viele war dies ausreichend, um ins Berufsleben zu starten. Das duale System trug wesentlich dazu bei, den Bedarf an Facharbeitern für das Wirtschaftswunder zu decken. Dennoch war auch damals nicht jeder Lehrstellensuchende erfolgreich – in den späteren 1960ern sprach man erstmals vom “Lehrstellenmangel”, als geburtenstarke Jahrgänge auf begrenzte Ausbildungsplätze trafen. – Heute ist die Rolle der dualen Ausbildung im Wandel. Einerseits besteht weiterhin ein starkes duales System mit über 1,2 Millionen Azubis (2021) und mehr als 300 anerkannten Ausbildungsberufen, andererseits entscheiden sich zunehmend mehr Schulabgänger für akademische Bildung. Das Verhältnis hat sich umgekehrt: 1950 kamen auf 10 Studierende rund 75 Azubis, 2021 jedoch nur noch etwa 4,3. Dadurch fällt es Betrieben zunehmend schwer, genügend Lehrlinge zu finden – ein Bewerbermangel ist in vielen Branchen Realität. Ursachen sind der demografische Rückgang der Jugendlichen und die gestiegene Attraktivität von Studiengängen. Zudem hat sich die Inhaltlichkeit der Berufe gewandelt: Gefragt sind heute z.B. Fachinformatiker oder Mechatroniker statt Bergleute oder einfache Handwerker. Die duale Ausbildung liefert weiterhin Fachkräfte (etwa für das “Made in Germany”-Qualitätsniveau), aber ihre Reichweite sinkt. Politik und Wirtschaft versuchen gegenzusteuern, etwa durch Kampagnen für die “Karriere mit Lehre”, Verkürzung oder Teilzeit-Ausbildung, höhere Ausbildungsvergütungen und die Öffnung mancher Studienberufe für duale Ausbildungswege. Nichtsdestotrotz ist die durchschnittliche Qualifikation junger Menschen heute höher (mehr Mittlere Reife/Abiturienten), was zu einem gewissen Prestigeschwund der klassischen Lehre führte. Die Berufsreife wird heute meist durch den Hauptschulabschluss bescheinigt; wer diesen nicht schafft, hat es am Ausbildungsmarkt äußerst schwer. Hier zeigt sich ein deutlicher Unterschied zu 1950: Damals konnten auch Jugendliche mit minimaler Schulbildung oft noch angelernt werden, während in der heutigen, technologisierten Arbeitswelt selbst Handwerksberufe immer höhere Anforderungen an Mathe-, Englisch- oder IT-Kenntnisse stellen.

Gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Kontext

Bildungsverständnis und Leistungsbereitschaft: In den 1950er-Jahren herrschte ein sehr pflichtbewusstes Bildungsverständnis. Schule galt als ernstzunehmende Angelegenheit; Eigenschaften wie Pünktlichkeit, Disziplin, Fleiß und Respekt vor dem Lehrer waren selbstverständlich. Die Erziehung war autoritärer geprägt: Lehrer hatten eine hohe Autorität (bis hin zum damaligen Recht zur körperlichen Züchtigung, das erst in den 1970ern abgeschafft wurde). Schüler lernten oft aus Angst vor Strafe und aus dem Pflichtgefühl gegenüber Eltern und Gesellschaft. Das Bildungsziel war primär Wissensvermittlung und die Formung von Charakter und Arbeitsmoral, weniger die Entfaltung individueller Talente. Gleichzeitig wuchs in der aufstrebenden Nachkriegsgesellschaft die Leistungsbereitschaft: Viele junge Menschen sahen Bildung und harte Arbeit als Weg, um persönlichen und nationalen Wiederaufstieg zu schaffen. Selbst wer nur eine Volksschule besuchte, war stolz auf das Erlernte und wollte seinen Beitrag zum „Aufbau“ leisten. Bildung wurde als “Aufstiegschance” erkannt – etwa vom Lehrling zum Meister – auch wenn das Abitur nur wenigen offenstand. – Heute hat sich das Bildungsverständnis pluralisiert. Zwar gelten Fleiß und Leistung nach wie vor viel, doch die Pädagogik betont stärker die individuelle Förderung und Selbstständigkeit der Schüler. Ein autoritärer Ton ist weitgehend passé; Lehrkräfte agieren eher als Lernbegleiter. Diskussionen um “fehlende Disziplin” und “Sinken des Leistungsniveaus” tauchen regelmäßig auf, was teils mit nostalgischem Blick auf die 50er verbunden ist. Tatsächlich sind Sanktionen und Gehorsam weniger strikt, gleichzeitig stehen Schülerinnen und Schüler aber unter einem anderen Druck: heute zählen gute Noten für das Studium, und Eltern investieren intensiver in die Bildungskarrieren ihrer Kinder (Nachhilfe, Fördern von Hobbys etc.). Leistungsdruck ist somit weiterhin vorhanden, hat aber eine andere Qualität – weniger körperliche Strenge, mehr psychologischer Druck, „mithalten“ zu müssen. Die soziale Aufstiegserwartung durch Bildung ist ambivalent: In den Wirtschaftswunderjahren glaubten viele an den nahezu garantierten Aufstieg (es gab massenhaften Bedarf an Fachkräften, Lehrstellen und Jobs im Boom). Heutzutage ist Aufstieg möglich, aber das Gefühl der “Bildung als Garant für Wohlstand” hat Risse bekommen – man spricht von der “Ende der Aufstiegsgesellschaft”, da auch ein Studium keine sichere Karriere mehr garantiert. Dennoch ist Bildung für Individuen wichtiger denn je, um nicht abgehängt zu werden. Zusammengefasst: 1950 herrschte eine eher kollektivistische, gehorsamsorientierte Lernkultur, heute eine individualisierte, selbstbestimmungsorientierte – mit jeweils unterschiedlichem Verständnis von Leistung (damals: Pflicht erfüllen; heute: eigene Potentiale verwirklichen, aber auch Wettbewerb um Abschlüsse).

Migration und Integration im Schulsystem: Westdeutschland war um 1950 ethnisch-kulturell weitgehend homogen. Zwar kamen infolge von Flucht und Vertreibung rund 12 Millionen Deutsche aus dem Osten ins Land, doch diese Heimatvertriebenen sprachen meist Deutsch und wurden innerhalb weniger Jahre in Schulen und Gesellschaft integriert. Nennenswerte Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen gab es zunächst nicht. Erst ab Ende der 1950er warben die Bundesrepublik und Unternehmen Gastarbeiter an (z.B. aus Italien, später Türkei, Griechenland u.a.). Deren Kinder tauchten ab den 1960er-Jahren in den Schulen auf. Allerdings war man darauf wenig vorbereitet: Man ging davon aus, dass viele Familien zurückkehren würden. Förderung für ausländische Kinder blieb minimal – oft wurden sie in Übergangsklassen gesammelt oder mussten ohne Sprachkenntnisse dem Unterricht folgen. Integration als bewusste Aufgabe entstand erst in den 1970ern/80ern allmählich. – Heute ist Deutschland eine Einwanderungsgesellschaft, was sich deutlich in den Schulen zeigt. Etwa 29 % der Schüler an allgemeinbildenden Schulen haben eine Einwanderungsgeschichte (das heißt, sie selbst oder ihre Eltern sind seit 1950 zugewandert). In Städten liegt der Anteil teils über 50 %. Die Schülerschaft ist sprachlich, kulturell und religiös vielfältig. Das Bildungssystem hat spezielle Maßnahmen entwickelt: z.B. Willkommensklassen/Sprachlernklassen für neu zugewanderte Kinder, Förderung in Deutsch als Zweitsprache, Muttersprachlicher Ergänzungsunterricht, interkulturelle Trainings für Lehrer, usw. Dennoch bestehen Integrationsherausforderungen: Kinder mit Migrationshintergrund schneiden in Durchschnittswerten oft schwächer ab (z.B. in PISA) und sind an Gymnasien unterrepräsentiert. Hier spielen soziale Faktoren (Elternhaus, ökonomischer Status) eine Rolle, aber auch nach wie vor Sprachbarrieren und teilweise Diskriminierung. Im Vergleich zu 1950, wo Integration vor allem die Eingliederung vertriebener deutscher Kinder aus anderen Regionen bedeutete, geht es heute um inklusive Bildung für Schülerinnen und Schüler aus aller Welt – vom Flüchtlingskind, das kaum Deutsch spricht, bis zur zweiten/dritten Generation von Einwandererfamilien. Positiv ist, dass viele dieser Schüler heute hohe Bildungsaspirationen haben und das System bereichern (z.B. mehrsprachige Kompetenzen, kulturelle Vielfalt). Die Schule als Integrationsmotor ist politisch anerkannt, erhält aber noch nicht überall ausreichende personelle und finanzielle Ressourcen (z.B. fehlen genug Sprachförderlehrer). Bemerkenswert: Unter den Lehrkräften sind Menschen mit Migrationshintergrund deutlich unterrepräsentiert (2023 ca. 11 %), was zeigt, dass der Wandel der Gesellschaft in der Lehrerzimmern langsamer ankommt als in den Klassenzimmern. Insgesamt hat das deutsche Schulsystem einen Wandel von einer praktisch monoethnischen Institution 1950 hin zu einer multikulturellen Lernumgebung vollzogen – eine Entwicklung, die neue Chancen (Diversität, globale Perspektiven) wie auch neue Aufgaben (Sprachförderung, Chancengerechtigkeit) mit sich bringt.

Wirtschaftlicher Kontext und Fachkräftebedarf: Das westdeutsche Bildungssystem der 1950er wirkte in einer Phase des rasanten wirtschaftlichen Aufschwungs – dem Wirtschaftswunder. Damals konnte die Wirtschaft ihren steigenden Bedarf an Arbeitskräften relativ gut decken: Einerseits standen durch die Kriegsrückkehrer, Vertriebenen und jungen geburtenstarken Jahrgänge viele Arbeitswillige zur Verfügung; andererseits passte die Qualifikationsstruktur. Die meisten Jobs in der entstehenden Industriegesellschaft erforderten mittlere Qualifikationen (Facharbeiter, Meister) und körperliche Arbeit. Die duale Ausbildung und auch das einfache “Learning by Doing” am Arbeitsplatz lieferten hierfür genügend Personal. Selbst Ungelernte fanden oft Anstellung in der Industrie oder im Bau. Dieser breiten Masse an eher niedrig/formal mittel gebildeten Arbeitskräften verdankte Deutschland zusammen mit technischen Innovationen und Kapitalhilfen (Marshallplan) einen Großteil seines Produktionswachstums. Man kann sagen: Das Bildungssystem mit seinem Fokus auf Grundbildung und beruflicher Praxis bildete die Belegschaft für Fabriken und Werkstätten, die das Wirtschaftswunder tragen konnten. Der Begriff “Fachkräftemangel” war in den 50ern kaum gebräuchlich – eher im Gegenteil, in den frühen Jahren gab es auch Arbeitslosigkeit (bis der Boom voll einsetzte) und später einen Mangel an Arbeitsplätzen für die vielen Babyboomer-Lehrlinge in den 60ern („Lehrstellenmangel“). – In der heutigen deutschen Wirtschaft stellt sich die Lage völlig anders dar. Deutschland ist nun eine hochentwickelte Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft, in der Wachstum vor allem durch Innovation, Technologievorsprung und hochqualifizierte Dienstleistungen erzielt wird. Dementsprechend hat sich der Fachkräftebedarf gewandelt: Gesucht werden Ingenieure, IT-Experten, medizinische Fachkräfte, Erzieher, Handwerksmeister usw. – und in vielen Bereichen herrscht heute ein akuter Fachkräftemangel. Während früher ein Überangebot an jungen Arbeitskräften bestand, droht heute wegen der alternden Bevölkerung ein Arbeitskräftedefizit. Das Institut der deutschen Wirtschaft warnt, dass der Mangel an qualifizierten Mitarbeitern die Wirtschaft zunehmend bremst. So klagen Betriebe vom Maschinenbau bis zur Pflege, dass tausende Stellen unbesetzt bleiben, weil geeignete Bewerber fehlen. Diese Fachkräftelücke hat mehrere Ursachen: die demografische Entwicklung (geburtenschwache Jahrgänge, viele Verrentungen), die steigende Nachfrage nach höher Qualifizierten durch technische Veränderungen – und auch das Bildungssystem spielt eine Rolle. Trotz Bildungsboom gelingt es offenbar nicht, ausreichend Absolventen in den MINT-Fächern und in der beruflichen Bildung bereitzustellen, um alle Bedarfslücken zu füllen. Zudem zeigt sich eine Qualifikationsdiskrepanz: Einerseits gibt es Arbeitslose oder Geringqualifizierte, die kaum vermittelbar sind, andererseits offene Stellen für Hochqualifizierte – ein Zeichen, dass das Bildungssystem an einigen Stellen am Bedarf vorbeibildet oder Potenziale nicht ausschöpft. So werden z.B. nach wie vor relativ viele Jugendliche ohne Abschluss oder nur mit Hauptschule entlassen, für die es immer weniger Jobs gibt (selbst im Handwerk werden mittlere Abschlüsse oder Abi immer häufiger). Unternehmen reagieren teils mit eigenen Akademien, Weiterbildung, Rekrutierung im Ausland (Stichwort Fachkräftezuwanderung). Im Vergleich zu den 1950ern, als Deutschland “billige Arbeitskraft” im Überfluss hatte, muss die heutige Wirtschaft auf “qualitative Klasse” setzen: Innovationskraft, Produktivität und Spezialwissen der Belegschaften sind entscheidend. Damit hängt unser Wachstum viel stärker von der Leistungsfähigkeit des Bildungs- und Hochschulsystems ab als vor 70 Jahren. Vereinfacht: Ein weiteres „Wirtschaftswunder“ könnte nur auf Basis von Innovation und Wissen stattfinden – und dafür muss das Bildungssystem genügend Top-Fachkräfte und kreative Köpfe hervorbringen. Aktuell allerdings gibt es Zweifel, ob wir hierfür optimal aufgestellt sind, da in internationalen Vergleichen (z.B. PISA, OECD-Bildungsberichte) Deutschland zwar solide, aber nicht herausragend abschneidet, und Investitionen in Bildung gemessen am BIP eher mittelmäßig sind. So konstatiert etwa die Hans-Böckler-Stiftung, dass jährlich rund 50 Milliarden Euro im deutschen Bildungssystem fehlen, um mit den Top-Industrieländern mitzuhalten. Auch die duale Ausbildung, einst Stolz der „Wirtschaftswundermaschine“, steckt laut Experten in einer Strukturkrise. Dies alles dämpft die Aussicht, allein durch das bestehende Bildungssystem einen wirtschaftlichen Quantensprung wie in den 1950ern zu erreichen.

Ein neues „Wirtschaftswunder“ durch Bildung?

Die Gegenüberstellung zeigt, dass sich das deutsche Bildungssystem seit 1950 massiv verändert und verbessert hat: Materielle Notstände von einst – zerstörte Schulen, kaum Lehrmaterial, fehlende Lehrer – sind überwunden. Bildungsbeteiligung und -abschlüsse haben sich vervielfacht; die Bevölkerung ist so gut ausgebildet wie nie zuvor. Paradoxerweise steht Deutschland heute dennoch vor großen Herausforderungen, wenn es um Bildung und Wirtschaft geht.

Unter den damaligen Bedingungen – einer jungen, wachsenden Bevölkerung mit hoher Arbeitsmoral, einem noch einfachen Anforderungsprofil der Jobs und einer Aufbruchstimmung – konnte das Bildungssystem trotz seiner Mängel die Grundlage für das Wirtschaftswunder legen. Die Kombination aus soliden Grundkenntnissen, dualer Ausbildung und dem Willen der Nachkriegsgeneration reichte aus, um die Industrie mit fähigen Arbeitskräften zu versorgen. Die Quantität an verfügbaren Arbeitskräften spielte eine entscheidende Rolle.

Heute haben wir wesentlich bessere Bildungsstrukturen und -möglichkeiten, aber die Rahmenbedingungen der Wirtschaft sind komplexer: Wir haben eine Wissensökonomie mit hoher Konkurrenz, eine stagnierende Bevölkerung und bereits einen hohen Wohlstandsniveau (basierend auf dem vergangenen Wunder). Ein „Wirtschaftswunder 2.0“ würde voraussetzen, dass durch Bildung ein enormes zusätzliches Wachstum entfacht wird – etwa durch Innovationen, neue Technologien oder Produktivitätssteigerungen. Hier zeigen sich gemischte Prognosen.

Pro-Argumente: Deutschland besitzt eine breite Hochschullandschaft, exzellente Fachkräfte in vielen Bereichen und ein nach wie vor angesehenes duales System. Wenn es gelingt, die Digitalisierung konsequent ins Bildungssystem zu tragen, mehr Kinder zu Spitzenkräften insbesondere in MINT auszubilden und das Potential aller (auch der Migrantenkinder, auch der bislang Bildungsbenachteiligten) auszuschöpfen, könnte dies einen Innovationsschub bedeuten. Zudem zwingt der Fachkräftemangel zu Reformen – etwa lebenslangem Lernen und Weiterbildung, wo Deutschland aufholen kann. Mit anderen Worten: Das Bildungssystem hat noch „Reserven“, die, wenn mobilisiert, zu höherem Wirtschaftswachstum beitragen könnten (z.B. weniger Schulabbrecher = mehr Fachkräfte; mehr Spitzenforscher = mehr technische Durchbrüche).

Kontra-Argumente: Allerdings sind einem neuen Wunder klare Grenzen gesetzt. Demografisch schrumpft das Erwerbspersonenpotenzial, was auch durch Bildung nur begrenzt kompensierbar ist. Das historische Wirtschaftswunder profitierte auch von Einmaleffekten (Wiederaufbau, Nachholbedarf), die sich so nicht wiederholen lassen. Heute ist das Wachstumspotenzial moderater. Außerdem kämpft das Bildungssystem mit eigenen Baustellen: Bildungsungleichheit, Lehrkräftemangel, Investitionsrückstand – diese Baustellen müssen überhaupt erst behoben werden, bevor Zusatzimpulse entstehen. In den 1950ern ging es steil bergauf trotz ärmlicher Schulausstattung; nun könnte selbst ein perfekt ausgestattetes Schulsystem nur noch qualitatives Wachstum generieren, kein exponentielles. Schließlich dauert es lange, bis Bildungsreformen sich in der Wirtschaft auszahlen (Kinder von heute treten erst in 10–20 Jahren als Fachkräfte in Erscheinung). Deutschland steht also eher vor einem langfristigen Verbesserungsprozess als vor einem plötzlichen Wunder.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Ein erneutes “Wirtschaftswunder” allein auf Basis des Bildungssystems ist wenig wahrscheinlich, weil die Voraussetzungen andere sind als 1950. Das heißt aber nicht, dass Bildung unwichtig wäre – im Gegenteil, sie ist der Schlüssel, um Wohlstand zu erhalten und zukünftiges Wachstum zu ermöglichen. Nur wird dieses Wachstum eher schrittweise und wissensgetrieben erfolgen statt explosionsartig. Der Vergleich zeigt eindrücklich, wie weit wir gekommen sind (von der Trümmer-Schule zur digital vernetzten Ganztagsschule) und worin die aktuellen Probleme liegen (vom Mangel an Lehrern bis zur Inklusion aller). Die Lehre aus dem historischen Vergleich kann sein, dass Investitionen in Bildung und eine an neue Bedingungen angepasste Bildungspolitik unabdingbar sind, um die Erfolgsgeschichte – wenn schon kein Wunder, so doch – nachhaltig fortzuschreiben. Mit einem Bildungssystem, das Qualität und Chancengerechtigkeit steigert, kann Deutschland zumindest kleine Wunder vollbringen: nämlich jedem Einzelnen bessere Lebens- und Aufstiegschancen zu ermöglichen und dadurch im Ganzen innovativ und wettbewerbsfähig zu bleiben.

Quellen: Bildungsstatistiken der KMK und Destatis, historische Analysen (bpb, DLF), OECD-Studien (PISA), Berichte von BMBF/ifo-Institut zu Fachkräftemangel. (Alle Daten und Fakten im Text sind durch diese Quellen belegt.)