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Transmission Protection Instrument (TPI)

Das Transmission Protection Instrument (TPI) der EZB – Risiken eines fragilen Schutzschirms

Die Europäische Zentralbank hat im Juli 2022 mit dem Transmission Protection Instrument (TPI) ein neues Krisenwerkzeug vorgestellt, um den Zusammenhalt im Euro-Kapitalmarkt zu wahren.

Das TPI erlaubt der EZB notfalls den unbegrenzten Kauf von Staatsanleihen einzelner Euro-Länder, deren Finanzierungskosten „ungerechtfertigt“ stark gestiegen sind[1][2]. Ziel ist es, die geldpolitische Transmission – also die einheitliche Weitergabe der EZB-Zinspolitik – in allen Ländern des Euro-Raums sicherzustellen[3][1].

Während die Intention zunächst überzeugend klingt, sorgt dieses Instrument für kontroverse Diskussionen. Besonders in Deutschland wachsen die Befürchtungen, dass hier fehlgeleitete Anreize, Marktverzerrungen und politische Abhängigkeiten entstehen könnten, die langfristig Europas wirtschaftliche Zukunft bedrohen.

Im Folgenden werden die Funktionsweise des TPI und vor allem die wirtschaftlichen und geopolitischen Risiken dieses Instruments ausführlich beleuchtet – mit einem kritischen Blick aus der Perspektive vermögender Privatleute und unternehmerisch denkender Beobachter.

Funktionsweise und Zielsetzung des TPI

Die EZB beschloss das TPI am 21. Juli 2022 einstimmig im EZB-Rat und stellte es der Öffentlichkeit als neues Anti-Kriseninstrument vor[4]. Offiziell soll das TPI „ungerechtfertigten, ungeordneten Marktentwicklungen“ entgegenwirken, die eine ernsthafte Bedrohung für die einheitliche Geldpolitik darstellen[1][5]. Konkret bedeutet dies: Wenn in einem Mitgliedstaat die Renditen für Staatsanleihen wesentlich stärker steigen als durch dessen wirtschaftliche Fundamentaldaten gerechtfertigt, kann die EZB durch gezielte Anleihekäufe in den Markt eingreifen[1][6].

Diese Käufe erfolgen am Sekundärmarkt (also nicht direkt vom Staat) und konzentrieren sich auf Staatsanleihen mit 1–10 Jahren Restlaufzeit[7][8]. Im Unterschied zu früheren Programmen wie den Outright Monetary Transactions (OMT) sind die möglichen Kaufvolumina beim TPI ex ante unbegrenzt – es gibt also keine vorab festgelegte Obergrenze[9][2]. Voraussetzung ist jedoch, dass das betroffene Land gewisse Kriterien der Haushalts- und Wirtschaftspolitik erfüllt, z. B. keine gravierenden EU-Defizitverfahren anhängig sind und die Schulden als tragbar gelten[10][11]. Die Entscheidung zur Aktivierung des TPI obliegt dem EZB-Rat, der eine umfassende Gesamtabwägung vornimmt[12].

Die Motivation der EZB für das TPI liegt darin, sogenannte Fragmentierungsrisiken im Euro-Raum einzudämmen[13][14]. „Fragmentierung“ heißt in diesem Zusammenhang, dass sich die Finanzierungskosten der Euro-Staaten auseinanderentwickeln: Hochverschuldete Länder sehen steigende Renditen und Risikoaufschläge, während solide Länder niedrigere Zinsen zahlen.

Genau dies geschah im Zuge der geldpolitischen Wende 2022: Als die EZB im Kampf gegen die Inflation nach vielen Jahren erstmals wieder die Zinsen anhob, zogen zwar überall in Europa die Marktzinsen an – jedoch wesentlich deutlicher in Staaten mit höherer Verschuldung und schwächeren Wachstumsperspektiven[15][16]. Beispielsweise stieg die Rendite zehnjähriger italienischer Staatsanleihen zwischen Dezember 2021 und Juni 2022 von 1,0 % auf über 4,2 %, während der deutsche Bund in derselben Zeit von –0,3 % auf ca. 1,8 % kletterte[17].

Die Zinsspreads – also die Abstände zwischen den Renditen „unsicherer“ Staaten wie Italien und „sicherer“ Staaten wie Deutschland – weiteten sich merklich aus[14][18]. Aus Sicht der EZB droht dadurch die einheitliche Wirkung ihrer Geldpolitik verloren zu gehen:

Wenn z. B. italienische Kreditnehmer wegen hoher Staatsanleihe-Renditen viel höhere Zinsen zahlen müssen als deutsche, würde eine EZB-Zinserhöhung in Italien eine weit stärkere bremsende Wirkung entfalten als in Deutschland.

Transmission Protection Instrument (TPI)

Transmission Protection Instrument (TPI)

Um diese auseinanderdriftenden Finanzierungsbedingungen zu glätten, soll das TPI wie ein Schutzschirm fungieren und übermäßige Risikoaufschläge begrenzen[19][20].

Im Zuge der Euro-Schuldenkrise 2010–2012 stiegen die Spreads – etwa für Griechenland, Portugal, Spanien, Irland und Italien – auf historisch extreme Werte an. Seit 2021/2022 haben sich die Zinsdifferenzen zwar ebenfalls erhöht, liegen jedoch noch deutlich unter den Höchstständen früherer Krisenphasen[21][22]. Gleichwohl befürchtet die EZB eine Rückkehr von Marktspannungen wie damals und hat mit dem TPI ein Instrument geschaffen, das notfalls unbegrenzte Stützungskäufe erlaubt, um ein erneutes Auseinanderlaufen der Finanzierungskosten einzudämmen[1][23].

Wie funktioniert das TPI im Detail? Setzt die EZB das Instrument ein, würde sie ausgewählte Staatsanleihen aufkaufen, bis die Renditen (aus Sicht der Notenbank) wieder mit den Fundamentaldaten des Landes im Einklang stehen[1][24]. Offiziell betont der EZB-Rat, dass man mit dem TPI keine bestimmte Rendite oder Spanne fest im Auge habe, sondern flexibel reagieren wolle[5]. Wichtig ist: Die EZB will die gesamtwirtschaftliche Geldpolitik dennoch straffen, um die hohe Inflation zu bekämpfen.

Daher sollen TPI-Käufe – so die Ankündigung – möglichst „sterilisiert“ erfolgen[25]. Das heißt, man würde die zusätzlichen Liquiditätsspritzen durch andere Maßnahmen neutralisieren, damit die Geldmenge nicht weiter anwächst und das Inflationsziel nicht gefährdet wird. Beispielsweise könnte die Notenbank im Gegenzug andere Anleihen verkaufen oder auslaufende Papiere nicht ersetzen, um die Bilanzsumme nicht dauerhaft auszuweiten[25].

Bundesbank-Präsident Joachim Nagel betonte, das TPI diene ausschließlich der Wirksamkeit der Geldpolitik und der Sicherstellung von Preisstabilität, „nicht um Hilfen für Regierungen einzelner Länder“ zu leisten[26][27]. Die Notenbank bemüht sich also, den Eindruck zu vermeiden, es handle sich um ein Rettungsprogramm für Schuldensünder. Gleichwohl wird das TPI von vielen Seiten genau als solches wahrgenommen. Insbesondere in Deutschland und anderen nördlichen Euroländern löste die Ankündigung eine Welle der Kritik und Warnungen aus[28][29]. Im Folgenden werden die Hauptkritikpunkte – von Marktverzerrungen über finanzielle Repression bis hin zu politischen Risiken – im Detail dargestellt.

Auswirkungen auf Kapitalmärkte, Spreads und Staatsanleihen

Das TPI greift direkt in die Kapitalmärkte ein, indem es Preisbildungsmechanismen außer Kraft setzt, zumindest temporär. Normalerweise spiegeln Anleiherenditen die Einschätzung der Investoren hinsichtlich Inflationsausblick, Kreditrisiko und Angebots-Nachfrage-Lage wider. Steigende Spreads bei Staatsanleihen hoch verschuldeter Länder (wie z. B. Italien oder Griechenland) sind oft ein Signal dafür, dass Anleger höhere Ausfallrisiken oder eine unsolide Finanzpolitik befürchten[30]. Die EZB argumentiert jedoch, in Phasen großer Unsicherheit könnten Märkte übertreiben – Risikoaufschläge schießen dann über das fundamental gerechtfertigte Maß hinaus und gefährden die Finanzstabilität[31]. Genau an diesem Punkt setzt das TPI an: Es ermöglicht der Notenbank, gezielt bestimmte Länder-Anleihen zu kaufen, um „ungeordnete Marktbewegungen“ zu verhindern und überhöhte Zinsdifferenzen einzudämmen[1][24]. Im Idealfall beruhigt allein die Ankündigung eines solchen Backstop-Mechanismus die Märkte schon – ähnlich wie das OMT-Programm 2012 gar nie tatsächlich aktiviert werden musste, weil seine bloße Existenz die Spekulation auf Euro-Austritte eindämmte.

Kurzfristig kann das TPI also panikartige Marktreaktionen dämpfen und den betroffenen Staaten eine Atempause verschaffen. So reagierten die Anleihemärkte bereits auf die TPI-Ankündigung im Juli 2022 mit einer Entspannung: Die Risikoprämien für italienische und spanische Bonds gingen leicht zurück, da die Händler nun mit potenziellen Stützungskäufen der EZB rechneten. Dieser Beruhigungseffekt ist durchaus gewollt, birgt jedoch mittel- und langfristig erhebliche Nebenwirkungen. Kritiker monieren, dass die EZB mit dem TPI praktisch einen intransparenten Eingriff in die Marktbewertung vornimmt[18][30]. Es bleibt unklar, wann genau eine Zinsdifferenz als „ungerechtfertigt“ gilt – Christine Lagarde selbst erklärte, der EZB-Rat werde dies „nach eigenem Ermessen“ entscheiden[5]. Diese Vagheit schafft Unsicherheit und öffnet die Tür für politische Einflussnahme. Marktteilnehmer könnten sich fragen, ob die EZB bei bestimmten Ländern wohlwollender agiert als bei anderen, was wiederum die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik beeinträchtigt.

Transmission Protection Instrument TPI Risiken Infografik

Transmission Protection Instrument TPI Risiken Infografik

Zudem droht eine Verzerrung der Risikopreise: Wenn Investoren davon ausgehen, dass die EZB im Zweifel einspringt und Anleihen kauft, werden sie geringere Risikoaufschläge verlangen als unter freien Marktbedingungen.

Staatsanleihen kriselnder Länder könnten so künstlich teurer (d.h. niedrig verzinst) gehalten werden, als es die Bonität eigentlich rechtfertet[32][30]. Dies mag kurzfristig Stabilität vortäuschen, verschleiert aber reale Risiken. Sollte die EZB nämlich später aussteigen oder an ihre Grenzen stoßen, könnten die Renditen umso abrupter nach oben schnellen – mit potenziell chaotischen Folgen an den Finanzmärkten. Auch für Unternehmensanleihen und Banken hat diese Marktmanipulation Implikationen: Das TPI fokussiert zwar auf Staatsanleihen, aber staatliche und private Finanzierungskosten hängen eng zusammen. Wenn etwa eine italienische Staatsbank auf einem hohen Berg heimischer Staatsanleihen sitzt (deren Risiko von der EZB gedeckelt wird), wie bewertet der Markt dann die Bank? Möglicherweise werden Risiken unterschätzt, was später in höheren Verlusten münden kann, sollte der Staat doch in Zahlungsschwierigkeiten kommen. So entsteht ein Ansteckungseffekt auf den gesamten Kapitalmarkt.

Schließlich muss betont werden, dass das TPI in einem Umfeld eingeführt wurde, in dem die Inflation im Euroraum auf dem höchsten Stand seit Jahrzehnten liegt. Hier entsteht ein potenzieller Zielkonflikt: Auf der einen Seite will die EZB die Nachfrage bremsen und Inflation bekämpfen (durch Zinserhöhungen und Bilanzrückführung), auf der anderen Seite verspricht sie ausgewählten Ländern, deren Finanzierungskosten zu begrenzen[26][29]. Zwar versichert sie, TPI-Käufe nur „neutralisiert“ vorzunehmen, doch Kritiker zweifeln an der praktischen Umsetzung. Sollte beispielsweise ein großer Staat umfangreich gestützt werden müssen, könnte dies die geldpolitische Straffung konterkarieren – oder die EZB müsste ihren Anti-Inflationskurs abbrechen, um eine Staatsfinanzierungskrise zu vermeiden. Dieses Dilemma birgt die Gefahr, dass die EZB in Zukunft zwischen Preisstabilität und Finanzstabilität abwägen muss, was ihren Handlungsspielraum einschränkt. Unter dem Strich resultiert aus den TPI-Marktinterventionen somit ein fragiles Gleichgewicht, das bei Fehlkalibrierung entweder in Rentenmarkt-Turbulenzen oder in Inflationsdruck münden kann – beides alarmierende Aussichten für Vermögende und Investoren, die auf stabile Rahmenbedingungen angewiesen sind.

Gefahr von Finanzrepression und schleichender Enteignung

Ein zentrales Risiko des TPI aus Sicht vieler Deutscher ist die Finanzrepression – also die gezielte Niedrighaltung von Zinsen zulasten von Sparern und Gläubigern, um hochverschuldeten Staaten finanziell Luft zu verschaffen. Tatsächlich kommt das TPI diesem Konzept sehr nahe: Durch die künstliche Senkung der Renditen ausgewählter Staatsanleihen werden die Kreditkosten dieser Länder gedrückt[2][33]. Für Regierungen mag das attraktiv sein, doch für Anleger bedeutet es, dass sie womöglich jahrzehntelang Anleihen mit Mini-Zinsen halten, während die Inflation ihr Vermögen entwertet. Schon in der jüngeren Vergangenheit wurde der EZB vorgeworfen, mit ihrer Null- und Negativzinspolitik eine „schleichende Enteignung“ der Sparer betrieben zu haben[34]. Negative Realzinsen – also Zinssätze unterhalb der Inflationsrate – entziehen Sparvermögen über die Zeit die Kaufkraft. Dies ist genau jene indirekte Enteignung, die vielen Deutschen schwer im Magen liegt[34]. Unter dem TPI-Regime könnte sich dieses Phänomen weiter verschärfen: Sollten die Preise in der Eurozone anhaltend kräftig steigen, während die EZB gleichzeitig die Renditen von Staatsanleihen deckelt, wären dauerhaft negative Realrenditen die Folge.

Finanzielle Repression hat zudem oft weitreichende Nebenwirkungen. Zum einen verzerrt sie die Kapitalallokation: Ersparnisse fließen nicht mehr dort hin, wo sie produktiv eingesetzt werden, sondern werden in sichere Häfen oder Sachwerte umgeschichtet, um der Entwertung zu entgehen. Vermögende Anleger reagieren auf Niedrigzinsphasen erfahrungsgemäß mit einer Umschichtung in Immobilien, Aktien oder Edelmetalle. Dies kann Preisblasen in diesen Märkten fördern, während Unternehmen in innovativen Bereichen womöglich Finanzierungsschwierigkeiten haben, weil der Kapitalmarkt nicht mehr effizient Risiken bepreist. Zum anderen drohen institutionelle Investoren wie Versicherungen und Pensionskassen in Bedrängnis zu geraten, da ihre festen Verpflichtungen (z. B. garantierte Auszahlungen) immer schwerer zu erfüllen sind, wenn sichere Zinsen künstlich niedrig gehalten werden. Die langfristige Altersvorsorge der Bürger wird also indirekt ebenfalls geschwächt – ein Aspekt, der gerade unternehmerisch denkenden Bürgern mit Eigenvorsorge Sorgen bereitet.

Nicht zuletzt birgt finanzielle Repression die Gefahr einer schrittweisen Umverteilung von Vermögen, ohne dass dies demokratisch legitimiert oder offenkundig wäre. Indem der Staat (bzw. hier das Eurosystem) sich zu extrem niedrigen Zinsen verschulden kann, spart er auf Kosten der privaten Gläubiger Ausgaben ein. Diese implizite Schuldensteuer ist weniger sichtbar als eine offene Steuererhöhung, wirkt aber ökonomisch ähnlich: Kaufkraft wird vom privaten Sektor zum hochverschuldeten öffentlichen Sektor umgeleitet[33][35]. Für Deutschland als Land mit traditionell hoher Sparquote – und vielen mittelständischen Unternehmern, die Erspartes in ihre Firma oder Vorsorge investieren – ist dieser Effekt besonders problematisch. Kapital wird entwertet, ohne dass der Gesetzgeber formal darüber entschieden hätte. Die EZB hat zwar nicht das Ziel, Sparer zu schädigen, doch ihre TPI-Interventionen könnten genau diesen Nebeneffekt haben: Finanzielle Repression durch die Hintertür. Diesem Aspekt wird in der öffentlichen Kommunikation der Notenbank kaum Raum gegeben, weshalb das Misstrauen gegenüber der Geldpolitik in breiten Bevölkerungskreisen weiter wachsen könnte.

Zusammengefasst besteht die Gefahr, dass das TPI – in Kombination mit ohnehin hoher Inflation – eine Ära anhaltend unterdrückter Zinsen einläutet. Für die wirtschaftliche Zukunft Europas wäre dies bedenklich: Ein dynamischer, innovativer Wirtschaftsraum benötigt funktionierende Kapitalmärkte mit realistischen Zins- und Risikosignalen. Werden diese Signale dauerhaft manipuliert, drohen Wachstumshemmnisse, Fehlallokationen und ein Vertrauensverlust sowohl bei Investoren im In- und Ausland als auch bei den eigenen Bürgern.

Politische Risiken: Transferunion, Haftungsgemeinschaft und Moral Hazard

Neben den ökonomischen Nebenwirkungen rufen vor allem die politischen Implikationen des TPI heftige Kritik hervor. Im Kern geht es um die Frage: Wird die EZB mit diesem Instrument zum politischen Akteur, der Gewinner und Verlierer im Euroraum bestimmt? Kritiker warnen, das TPI führe in eine Transferunion durch die Hintertür[32]. Denn wenn die Zentralbank Anleihen eines Landes kauft und damit dessen Zinslast senkt, profitiert dieses Land finanziell, während andere Länder mittelbar mögliche Kosten oder Risiken tragen. So wurde z. B. angemerkt, dass das TPI Haushalte hochverschuldeter Länder mit Notenbankgeld finanziert – faktisch also monetäre Staatsfinanzierung darstellt[36]. Dies geschehe zu Lasten jener Mitgliedsländer, die nicht vom TPI gestützt werden, etwa weil ihre Anleihen als sicher gelten[32]. Man kann sich das wie eine implizite Haftungsgemeinschaft vorstellen: Während Italien dank EZB-Eingriffen niedrigere Zinsen zahlt, verlagert sich ein Teil des Ausfallrisikos auf die Bilanz der Zentralbank, an der letztlich alle Euro-Länder anteilig beteiligt sind. Geht ein solcher Anleihekauf am Ende schief (beispielsweise durch Umschuldung oder Zahlungsausfall), entstünde der EZB ein Verlust, der indirekt von allen getragen werden müsste – sei es durch geringere Gewinnausschüttungen, Kapitalaufstockungen durch die Staaten oder im Extremfall höhere Inflation. In jedem Fall würden die finanziellen Lasten solidarisiert, ohne dass hierfür eine explizite politische Vereinbarung zwischen den Ländern getroffen wurde. Genau diese Art von stillen Transfers ist in Deutschland höchst umstritten und berührt die Grenzen dessen, was nach EU-Verträgen erlaubt ist. Das Verbot der monetären Staatsfinanzierung (Art. 123 AEUV) steht als Grundpfeiler über der Geldpolitik – die Kritiker sehen im TPI jedoch einen Schritt, der diesem Verbot gefährlich nahekommt[36][37]. Friedrich Merz, Oppositionsführer im Bundestag, sprach denn auch prompt von einem „Schritt in Richtung Staatsfinanzierung“ und kündigte scharfe Prüfung an (NTV berichtete)[38][39].

Eng damit verknüpft ist das Thema Moral Hazard, also falsche Anreize durch Absicherungsnetze. Wenn hochverschuldete Staaten wissen, dass die EZB im Zweifel ihre Anleiherenditen deckelt, schwächt das den Anreiz zu solider Haushaltspolitik[40][37]. Bereits beim OMT-Programm 2012 bestand daher die Bedingung, dass das betroffene Land ein Reform- und Sparprogramm im ESM-Rahmen akzeptieren musste. Mario Draghi argumentierte damals, nur strenge Konditionalität verhindere, dass Regierungen trotz unsolider Finanzen von der Zentralbank unterstützt werden – andernfalls würde die Notenbank disziplinierende Marktmechanismen außer Kraft setzen und am Ende ihre eigene Unabhängigkeit gefährden[41][42]. Das TPI hingegen sieht (Stand jetzt) keine vergleichbar harten Auflagen oder parlamentarisch kontrollierten Programme vor. Zwar nennt die EZB gewisse Kriterien (EU-Fiskalregeln einhalten, keine übermäßigen Ungleichgewichte etc.[10]), doch diese gelten Fachleuten als vage und leicht flexibel auslegbar[5][11]. Tatsächlich haben Ökonomen wie Jörg Krämer (Commerzbank) darauf hingewiesen, dass die EU-Kommission in der Vergangenheit bei Defizitverstößen „häufig beide Augen zugedrückt“ hat – die Latte für TPI-Hilfen also eher niedrig hängt[43]. Somit besteht die reale Gefahr, dass das TPI unsolides Wirtschaften belohnt: Regierungen könnten weiterhin hohe Defizite fahren oder Reformen aufschieben, im Vertrauen darauf, dass die EZB einschreitet, bevor die Finanzierung allzu teuer wird[30][37].

Ein solcher Fehlanreiz birgt enorme langfristige Risiken. Zum einen könnten die Schuldenberge einiger Länder weiter wachsen, weil der Marktdruck als disziplinierendes Element fehlt. Das TPI würde also Zeit kaufen, aber keine Lösungen schaffen – wie der Ökonom Peter Tillmann treffend anmerkt: Eine dauerhafte Lösung der strukturellen Schieflagen wird nur verschleppt, die EZB gewährt lediglich Aufschub[44][45]. Zum anderen kann dies das Vertrauen zwischen den Euro-Partnern strapazieren. Länder wie Deutschland, die über Jahre Reformen (Agenda 2010 etc.) umgesetzt und auf solide Finanzen geachtet haben, könnten sich übervorteilt fühlen, wenn andere dank EZB-Rettung ohne harte Einschnitte davonkommen. In den nordeuropäischen Mitgliedsländern wächst der Unmut, eine De-facto-Haftung für den Süden zu tragen, ohne Mitspracherecht und ohne dass die begünstigten Staaten „ihre Hausaufgaben machen“. Umgekehrt könnten südliche Länder argumentieren, dass die EZB ja im Interesse aller handelt, um den Euro zu stabilisieren – und dass der Norden von der Währungsunion schließlich ebenfalls enorm profitiert hat (Exportmärkte, starker Binnenmarkt usw.). Diese gegenseitigen Anklagen sind keineswegs neu, erhalten durch das TPI aber neuen Zündstoff. Sollte es tatsächlich zum Einsatz kommen, wäre die politische Frage nach Vergemeinschaftung von Schulden und finanzieller Eigenverantwortung wieder voll auf dem Tisch – eine hochexplosive Debatte, die bereits in der Eurokrise beinahe zum Auseinanderbrechen der Union geführt hätte.

Ein weiterer politischer Aspekt ist die Unabhängigkeit der EZB. Indem die Zentralbank faktisch entscheidet, welche Spreads noch akzeptabel sind und welche nicht, gerät sie in die Rolle eines Schiedsrichters über staatliche Finanzpolitik[46]. Sie könnte künftig unter Druck geraten, bestimmten Ländern eher entgegenzukommen (z. B. aus Furcht vor Euro-Austritt-Drohungen) oder im Gegenteil restriktiv zu handeln, um Vorwürfen der Gefälligkeit zu entgehen. Beides ist heikel. Die EZB würde sich auf politisches Terrain begeben, auf dem ihre technokratische Neutralität in Zweifel gezogen werden könnte. Genau das bemängeln Kritiker: Das TPI mache die Notenbank zu einer Instanz, die über die Finanzierbarkeit staatlicher Schulden und damit indirekt über das Schicksal von Regierungen entscheide – eine Machtfülle, die mit dem Auftrag einer unabhängigen Zentralbank schwer vereinbar sei[46]. Man denke an den Fall, dass die EZB einem Land die TPI-Unterstützung verweigert mit Verweis auf unsolide Politik: Dies könnte den Sturz einer Regierung nach sich ziehen und die EZB mitten in den innenpolitischen Ring katapultieren. Umgekehrt würde ein großzügiger Anleihekauf in heikler politischer Lage (etwa kurz vor einer Wahl in Italien) den Vorwurf provozieren, die EZB nehme parteipolitische Rücksichten. Beide Szenarien sind Albträume für die Glaubwürdigkeit einer Notenbank. Bundesbankchef Nagel beteuert zwar, der EZB-Rat habe bei der Gestaltung des TPI „besonderen Wert auf rechtliche Vorgaben und Grenzen“ gelegt und er sei zuversichtlich, dass das Programm vor Gericht Bestand hätte[47]. Dennoch gilt als wahrscheinlich, dass das TPI in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht landen wird[48][49]. Eine solche Klage würde erneut die Frage aufwerfen, wo die Grenze zwischen zulässiger Geldpolitik und unzulässiger Fiskalpolitik verläuft – und ob die EZB mit dem TPI möglicherweise ein Stück zu weit gegangen ist (Stichwort ultra vires). Bereits frühere Anleihekaufprogramme wurden von Klägern als Mandatsüberschreitung angegriffen, teils mit Erfolg: Das Bundesverfassungsgericht hat 2020 das EZB-Staatsanleiheprogramm PSPP gerügt und der Bundesbank Auflagen gemacht. Ein ähnlich kontroverses Verfahren scheint beim TPI programmiert, was wiederum die politisch ohnehin angespannte Lage weiter verschärfen könnte.

Spannungen im Euro-Währungsraum: Nord-Süd-Konflikt

Die Einführung des TPI fällt in eine Zeit, in der die alte Nord-Süd-Spannung innerhalb der Eurozone wieder deutlich zutage tritt. Nordeuropäische Länder wie Deutschland, die Niederlande oder Österreich pochen auf geldpolitische Disziplin und sehen in erster Linie die Inflationsbekämpfung als Aufgabe der EZB. Südeuropäische Länder wie Italien, Spanien oder Griechenland hingegen haben mit hohen Schuldenständen zu kämpfen und fürchten steigende Zinsen und Refinanzierungskosten fast ebenso sehr wie die Inflation. Diese divergierenden Prioritäten führen dazu, dass das TPI im Norden kritisch bis ablehnend betrachtet wird, während es im Süden eher als notwendige Schutzmaßnahme begrüßt wird (zumindest hinter vorgehaltener Hand). Das Programm wirkt somit wie ein Seismograph für den grundsätzlichen Konflikt, der die Währungsunion seit Beginn begleitet: Wie viel Solidarität und Risikoteilung darf oder muss es geben, um den Euro stabil zu halten?

In Deutschland wird oft der Eindruck vermittelt, das TPI sei vor allem ein Entgegenkommen an Italien – jenes Gründungsland der EU, das jedoch seit Jahren wirtschaftlich schwächelt und politisch instabil ist. Tatsächlich erfolgte die Verabschiedung des TPI zeitlich auffällig parallel zur Regierungskrise in Rom (Sommer 2022), als Mario Draghis Reformregierung auseinanderfiel. Manch ein Kommentator mutmaßte daher, die EZB habe das Instrument auch lanciert, um Italien an den Finanzmärkten den Rücken freizuhalten, bis sich die politische Lage beruhigt[29]. So schrieb etwa die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) spitz: „Inflation bei neun Prozent – doch die EZB sorgt sich lieber um Italiens Nöte und unterwirft sich so dem ‘Club Med’.”[50]. Diese pointierte Aussage aus der Schweizer Presse bringt die deutsche Sichtweise gut auf den Punkt: Während die Bürger im Norden unter der höchsten Teuerung seit der Wiedervereinigung leiden, scheint die EZB eher darauf zu achten, dass die Zinsen im Süden nicht zu stark steigen. Dies nährt den Vorwurf, die Zentralbank priorisiere südeuropäische Interessen zulasten der Stabilität. Zwar weist die EZB diese Unterstellung zurück, doch politisch ist der Schaden teils schon angerichtet: Das Vertrauen vieler deutscher Sparer und Unternehmer in die Währungsinstitution erodiert, wenn der Eindruck entsteht, die Geldpolitik folge politischen Rücksichten statt streng dem Stabilitätsmandat.

Auf der anderen Seite fühlen sich die südlichen Länder vom Markt zu Unrecht abgestraft. Sie argumentieren, dass ein Teil der hohen Risikoaufschläge auf Spekulation und Pessimismus zurückgehe, nicht nur auf Fakten[31]. In deren Sicht steht das TPI für Fairness und Zusammenhalt: Es schütze solide wirtschaftende Länder vor irrationalen Attacken und verhindere eine erneute Eurokrise aus reiner Marktpanik. Dieser Gegensatz in der Wahrnehmung erschwert eine sachliche Diskussion. Das TPI droht so zum Zankapfel zwischen dem „sparsamen Norden“ und dem „verschuldeten Süden“ zu werden. Schon jetzt ist absehbar, dass jedes mögliche Aktivieren des Instruments politisch ausgeschlachtet würde: Die einen würden rufen, nun zahle der deutsche Steuerzahler wieder für fremde Schulden; die anderen würden mahnen, ohne die EZB-Hilfe drohe der Euro auseinanderzufallen. Beide Narrative sind extrem und verkürzend, könnten aber die politische Stimmung aufheizen. Für Unternehmer in Deutschland, die Planungssicherheit und einen stabilen Euroraum brauchen, ist diese Polarisierung Gift: Sie erhöht die Unsicherheit über die zukünftigen Regeln des Spiels. Beispielsweise könnte eine neue Bundesregierung in Berlin (unter Druck euroskeptischer Stimmungen) versuchen, den Einfluss der Bundesbank einzusetzen, um das TPI zu beschränken; oder aber südliche Mitgliedsländer könnten weitere Hilfsinstrumente fordern und bei Ausbleiben mit Blockade in anderen EU-Fragen drohen. Solche Polit-Gezerre um die Geldpolitik schadet dem Investitionsklima und schwächt Europas Geschlossenheit nach außen.

Ein interessanter Aspekt ist, dass die Beschlussfassung des TPI formal einstimmig war – auch die deutschen Vertreter haben zugestimmt[4]. Dies lag offenbar an einem Deal im EZB-Rat: Als Gegenleistung für die unerwartet starke Zinserhöhung um 50 Basispunkte (die von den „Falken“ gefordert wurde), stimmten diese Falken im Gegenzug dem TPI zu[51]. Dieser Kompromiss zeigt, wie intern versucht wurde, den Balanceakt zwischen Inflationsbekämpfung und Fragmentierungsangst zu meistern. Allerdings bedeutet Einstimmigkeit nicht, dass alle glücklich mit dem Instrument sind – es war vielmehr ein fauler Kompromiss, der die Konflikte nur überdeckte. Bundesbank-Präsident Nagel sah sich gleich nach der Sitzung genötigt, öffentlich zu betonen, das TPI sei kein Bailout-Programm[26][29]. Offenbar wollte er Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen, wohl wissend, dass in Deutschland ansonsten ein Aufschrei drohte. Dennoch dürfte auch innerhalb des EZB-Rats das TPI weiter umkämpft bleiben: Sollten die Falken (etwa aus Deutschland oder den Niederlanden) den Eindruck gewinnen, es werde vorschnell oder zu großzügig angewandt, könnten Rücktrittsdrohungen oder öffentlich geäußerte Dissense die Folge sein. Das wiederum würde ein besorgniserregendes Signal an die Märkte senden. Kurz: Das TPI hat das Potenzial, die Einheit im EZB-Rat selbst zu belasten – was erstaunlich ist, bedenkt man, dass es doch eigentlich die „Einheitlichkeit der Geldpolitik“ garantieren soll.

Langfristige Tragfähigkeit im Kontext von Inflation, Schulden und Verantwortung

Letztlich stellt sich die Frage, ob die Strategie der EZB mit dem TPI auf lange Sicht tragfähig ist – oder ob sie lediglich Zeit erkauft, die ungenutzt verstreicht, während die zugrunde liegenden Probleme größer werden. Europas wirtschaftliche Zukunft hängt wesentlich davon ab, wie Inflation, Verschuldung und Wachstum in Einklang gebracht werden. Das TPI adressiert Symptome (steigende Renditen), ohne die Ursachen zu lösen (exzessive Schulden und mangelndes Vertrauen der Märkte).

Ein zentrales Risiko besteht darin, dass die EZB in einen Dauer-Spagat gezwungen werden könnte: Sollte die Inflation hoch bleiben, müsste sie eigentlich kräftig weiter an der Zinsschraube drehen. Wenn jedoch gleichzeitig einige Eurostaaten mit ihren Schuldenständen an die Belastungsgrenze kommen, würde jeder zusätzliche Zinsschritt dort die Solvenzfrage aufwerfen. Italien etwa steckt schon jetzt in einem Dilemma: Einerseits erfordert die Inflation höhere Zinsen, andererseits lasten über 140 % Schulden/BIP auf dem Land, was höhere Zinskosten kaum nachhaltig erscheinen lässt. Das TPI verspricht hier Abhilfe, indem es die italienischen Finanzierungskosten deckelt – aber kann das auf Dauer gutgehen? Volker Wieland, ein deutscher Wirtschaftsweiser, und Kollegen bezeichneten das TPI deshalb als „toxisch“ für die Währungsunion[52]: Es schirme Länder sowohl vor den Disziplinierungsfunktionen des Marktes als auch vor konkreten Reformauflagen ab, wodurch das zugrunde liegende Problem (mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, zu hohe Staatsausgaben) ungelöst bleibe und sich im Schutz des EZB-Schirms sogar verschlimmern könnte. In diesem Sinne schafft das TPI potentiell Moral-Hazard-Kosten, die in Zukunft schlagend werden. Wenn die EZB eines Tages gezwungen wäre, trotz TPI-Unterstützung einen Zahlungsausfall oder Schuldenschnitt eines Landes einzugestehen, hätte man bis dahin viel Geld und Vertrauen verloren – und stünde vor den Trümmern einer illusionsgetriebenen Politik.

Ein weiteres langfristiges Problem ist die Wechselwirkung mit der Fiskalpolitik der Mitgliedstaaten. Indem die EZB den Druck von den Regierungen nimmt, könnte die Bereitschaft für unpopuläre, aber notwendige Maßnahmen (Sparpakete, Rentenreformen, Abbau von Subventionen) sinken. Demokratische Regierungen neigen ohnehin dazu, harte Einschnitte aufzuschieben, insbesondere wenn Geld billig ist. Das TPI könnte diese Tendenz verstärken. Auf kurze Sicht mag es politisch dankbar sein – niemand muss drastisch sparen, da die EZB ja einspringt. Aber auf lange Sicht wachsen so die impliziten Risiken und Verbindlichkeiten immer weiter an. Die nächste Generation könnte vor einer noch größeren Schuldenlast stehen, die dann vielleicht nicht mehr so glimpflich beherrschbar ist wie die jetzige. Schon jetzt sind die Staatsschuldenquoten durch die Pandemie stark gestiegen; zugleich erfordert die demografische Entwicklung in Europa eigentlich Vorsorge (Stärkung der Sozialsysteme, Abbau von Schulden in guten Zeiten). Das TPI sendet hier jedoch ein gegenteiliges Signal: Dass man Schulden notfalls monetär bewältigen könne. Dies weckt bei manchen die Sorge vor einer Entwertungsspirale: Hohe Schulden führen zu Zentralbankinterventionen, diese führen zu mehr Geldmenge oder zumindest zu laxer Finanzdisziplin, was wiederum Inflation oder noch höhere Schulden erzeugt – ein Teufelskreis. Zwar ist dieses Szenario spekulativ, aber die Zutaten sind vorhanden, wenn Inflation nicht rasch in den Griff kommt und wenn einige Mitgliedstaaten Reformen weiter verschleppen.

Zu bedenken ist auch die psychologische Dimension: Die Glaubwürdigkeit der EZB stand in der Vergangenheit für einen wichtigen Teil der wirtschaftlichen Stabilität Europas. Wenn Bürger und Investoren Vertrauen in die Stabilität des Euro haben, sind sie bereit, langfristig in Europa zu investieren, ihre Ersparnisse hierzuhalten und Lohnabschlüsse moderater zu gestalten (weil sie mit niedriger Inflation rechnen). Sollte sich jedoch der Eindruck festsetzen, die EZB habe ihr Mandat verwässert und werde letztlich zur „Bad Bank“ für überschuldete Staaten, könnte das Vertrauen in die Währung Schaden nehmen. Ein schwächeres Vertrauen könnte sich in Abwertungstendenzen des Euro gegenüber anderen Leitwährungen zeigen oder in steigenden langfristigen Inflationserwartungen. Schon jetzt wurde beobachtet, dass der Euro-Wechselkurs auch auf die Diskussion um das TPI reagierte: Droht eine politisch induzierte Ausweitung der Geldmenge, verliert der Euro an Wert. Das wiederum erhöht importierte Inflation (z.B. via höhere Dollar-Preise für Energie), was den Kampf gegen die Teuerung erschwert. Man erkennt: Die Versuche, kurzfristig Stabilität zwischen Nord und Süd zu wahren, können neue Ungleichgewichte an anderer Stelle schaffen.

Langfristig tragfähig wäre das TPI nur, wenn es gar nicht oder höchstens sehr selten zum Einsatz kommen muss, weil die Fundamentaldaten der Länder stimmen. Es sollte als Versicherung für extrem unverschuldete Marktpanik gedacht sein, nicht als Dauerlösung. Die größte Gefahr besteht darin, dass es de facto institutionalisiert wird – dass Märkte sich darauf verlassen und Staaten es einkalkulieren. Sollte das passieren, wäre der Pfad Richtung Transfer- und Inflationsunion vorgezeichnet, ohne dass die Bürger je zugestimmt haben. Vermögende Anleger befürchten dann Kapitalverluste durch höhere Inflation oder sogar Vermögensabgaben, mit denen extreme Staatsschulden irgendwann abgetragen werden müssten. Unternehmer befürchten ein schwächliches, instabiles Europa, das mehr mit internen Umverteilungsproblemen beschäftigt ist als mit Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. Gerade ein „freiheitlich“ orientiertes, unternehmerisches Publikum – das in Eigenverantwortung investiert und Arbeitsplätze schafft – schaut daher mit Sorge auf das TPI. Mancher mag sich an das berühmte Diktum von Margaret Thatcher erinnert fühlen: „Das Problem mit dem Sozialismus ist, dass ihm irgendwann das Geld der anderen Leute ausgeht.“ Im Kontext des TPI könnte man analog sagen: Das Problem mit ständiger Zentralbank-Intervention ist, dass ihr irgendwann die Glaubwürdigkeit ausgeht.

Zukunft

Das Transmission Protection Instrument der EZB ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite soll es die Eurozone vor akuten Finanzmarktstress und einer neuen Schuldenkrise schützen – ein legitimes Anliegen angesichts der Erfahrungen von 2010–2012. Auf der anderen Seite bringt das TPI erhebliche wirtschaftliche und geopolitische Risiken mit sich, die nicht ignoriert werden dürfen. Für vermögende Sparer und Unternehmer in Deutschland dominieren derzeit die potenziellen Gefahren: Finanzielle Repression, die ihr Kapital schleichend entwertet; Marktverzerrungen, die effiziente Investitionen behindern; moralische Fehlanreize für Regierungen, die langfristig höhere Rechnungen nach sich ziehen; sowie politische Spannungen, die den Zusammenhalt Europas belasten. Die wirtschaftliche Zukunft Europas steht vor großen Herausforderungen – hohe Inflation, Transformationsbedarf (Digitalisierung, Klimawandel) und demografischer Wandel. Es wäre fatal, wenn eine falsche geldpolitische Weichenstellung diese Herausforderungen noch verschärfen würde, indem sie falsche Sicherheiten bietet und notwendige Anpassungen verzögert.

Die Debatte um das TPI verdeutlicht letztlich ein grundlegendes Spannungsfeld: Wie viel Marktdisziplin braucht eine Währungsunion, und wie viel Solidarität verträgt sie, ohne auseinanderzubrechen? Eine dauerhafte Stabilität des Euro wird nur erreichbar sein, wenn fiskalische Verantwortung und monetäre Stabilität Hand in Hand gehen. Die EZB kann Zeit kaufen – aber nutzen müssen sie die Regierungen. Das Transmission Protection Instrument mag in der Theorie ein pragmatisches Hilfsmittel sein, doch sein Einsatz darf kein Ersatz für solide Wirtschaftspolitik werden. Andernfalls droht das vielbeschworene „Whatever it takes“ der EZB am Ende mehr Schaden als Nutzen anzurichten. Für ein freiheits- und stabilitätsorientiertes Publikum bleibt daher zu hoffen, dass das TPI höchstens als Notfall-Airbag im Handschuhfach der Eurozone verweilt – und nicht als Dauereinrichtung den Kurs bestimmt. Nur so lässt sich vermeiden, dass heutige „Rettungsschirme“ zu morgigen Bumerangs für Wohlstand und Stabilität werden.

Quellenangaben

  • [3][1] Deutsche Bundesbank – Transmission Protection Instrument (TPI), Erläuterung der EZB-Beschlüsse vom 21. Juli 2022 (deutsche Zusammenfassung der EZB-Pressemitteilung).
  • [2][53] Wikipedia (de) – Transmissionsschutzinstrument (TPI): Definition und Aufgabe des TPI (unbegrenzte Anleihekäufe zur Senkung der Kreditkosten).
  • [5] Capital – TPI: Mit diesem Instrument will die EZB kriselnde Euro-Staaten retten (22. Juli 2022): Kommentar zur unklaren Definition „ungerechtfertigter“ Marktbewegungen (Lagarde: Entscheidung nach eigenem Ermessen).
  • [16] DIW Wochenbericht 40/2022 – Bernoth/König et al.: Einsatz des neuen EZB-Notfallprogramms TPI bisher nicht erforderlich: Beobachtung, dass Anleiherenditen hochverschuldeter Länder (Italien, Griechenland) mit Straffung stärker stiegen als in Ländern mit niedriger Verschuldung (Fragmentierung).
  • [17] ifo Institut (Fuest et al.) – The ECB’s Toxic Bond-Purchase Program (Project Syndicate, 27. Juli 2022): Beispiel steigender Zehnjahresrenditen Dec 2021–Jun 2022 (Italien von 1,02 % auf 4,27 %, Deutschland von –0,33 % auf 1,75 %).
  • [30] Verfassungsblog (Orphal, 2. August 2022) – Marktlogik ist kein Rechtsgebot: Kritik, es sei unmöglich klar zu bestimmen, wann Märkte „übertrieben“ reagieren; Hinweis, dass EZB unklare Maßstäbe setzt und dass es nicht ihre Rolle sei, überschuldeten Staaten Reformverweigerung zu erleichtern.
  • [26][29] manager magazin (23. Juli 2022) – Interview/Aussagen von Bundesbankpräsident Nagel: TPI diene der geldpolitischen Transmission und Preisstabilität, nicht der Hilfe für einzelne Regierungen; Kritiker sehen hingegen versteckte Staatsfinanzierung, speziell bei politisch selbstverursachter Krise (Zitat Ducrozet: Italienische Regierungskrise = Lehrbuchfall, wo EZB nicht intervenieren sollte).
  • [21][22] DIW Berlin – Grafik: Renditespreads Euro-Länder vs. Deutschland 2001–2022; Kommentar, dass Spreads in aktueller Krise (2020–22) längst nicht so stark auseinandergehen wie in der Euro-Schuldenkrise.
  • [25] Deutsche Bundesbank – TPI-Beschreibung: Hinweis, dass EZB-Rat Maßnahmen ergreifen wird, um dauerhaften Einfluss der TPI-Käufe auf Bilanz/Überschussliquidität und geldpolitischen Kurs zu verhindern (Andeutung von Sterilisierung der Käufe).
  • [34] Deutschlandfunk (Interview 2013 mit Michael Kemmer, BdB) – „Eine schleichende Enteignung der Sparer“: Aussage, dass negative Realzinsen (Nominalzins < Inflation) faktisch eine schleichende Enteignung bedeuten – zentrale Kritik an anhaltender Niedrigzinspolitik.
  • [33][35] Deutsche Bundesbank Research Brief (Okt. 2024) – Finanzielle Repression: Definition: Politische Maßnahmen, die es Regierungen ermöglichen, Schulden zu künstlich niedrigen Zinsen zu platzieren (z. B. Zinsobergrenzen, „moral suasion“, regulatorische Vorgaben), was private Anlageentscheidungen beeinflusst. Studie legt nahe, dass finanzielle Repression in Nachkriegs-USA teils zu steigender Schuldenquote führte.
  • [36] Wikipedia – Nachteile des TPI: Kritikpunkt Staatsfinanzierung: TPI führt zur Finanzierung von Staatshaushalten mit EZB-Geld (monetäre Staatsfinanzierung) – zulasten der Länder, die nicht vom TPI profitieren; Verstoß gegen EU-Recht (Art. 123 AEUV).
  • [37] Wikipedia – Nachteile des TPI: Kritikpunkt Falsche Anreize: TPI hält Zinsen künstlich niedrig, fördert dadurch Verschwendung/Schuldensteigerung in begünstigten Ländern, da sie auch bei steigender Verschuldung nur die künstlich gedrückten Zinsen zahlen – wiederum zulasten der übrigen Länder.
  • [40] ifo / Fuest et al. – Toxic Bond-Purchase Program: Erinnerung an OMT-Konditionalität während Eurokrise – EZB-Hilfen nur bei ESM-Programm, um zu verhindern, dass unsolide finanzierte Länder trotz untragbarer Finanzen Unterstützung erhalten. Draghi betonte 2012, dass ohne Konditionen Anreize für solide Fiskalpolitik ausgehöhlt und Unabhängigkeit der EZB gefährdet würden.
  • [44][45] Wirtschaftsdienst (Tillmann, August 2022) – Normalisierung der Geldpolitik und TPI: Anmerkung, dass TPI mit schwächerer Konditionalität als OMT problematisch ist. Dauerhafte Lösung der fiskalischen Schieflagen wird nur verschleppt; die EZB kauft (wie schon oft) Zeit.
  • [43] Capital – Hinweis auf Kritik deutscher Ökonomen: TPI-Konditionen zu lasch. Zitat Commerzbank-Chefökonom Krämer: EU-Kommission habe bei Defizitsündern häufig beide Augen zugedrückt; EZB setze Latte für TPI-Anwendung relativ niedrig
  • [48] Capital – Erwartung, dass das Bundesverfassungsgericht gegen die EZB-Pläne vorgehen wird; frühere Anleihekäufe wurden bereits mehrfach in Karlsruhe angefochten.
  • [46] Wikipedia – Nachteile des TPI: Kritikpunkt Gefährdung der Unabhängigkeit der EZB: Durch TPI wird EZB zur Instanz, die über Finanzierbarkeit hoher Staatsschulden (und damit über Schicksal von Regierungen) entscheidet – politische Rolle, die mit Aufgaben einer unabhängigen Zentralbank unvereinbar ist.
  • [49] Wikipedia – Rechtliche Bewertung: Erwartung, dass TPI mittels Verfassungsbeschwerde dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt wird, mit Ziel, es als kompetenzwidrig (ultra vires) zu erklären. In diesem Fall dürfte die Deutsche Bundesbank nicht an der Umsetzung teilnehmen (innerhalb DE).
  • [47] manager magazin – Interview Nagel: Aussage, dass EZB-Rat bei Ausgestaltung des TPI besonderen Wert auf Einhaltung rechtlicher Vorgaben gelegt habe; Nagel zuversichtlich, dass Programm vor Gerichten Bestand hätte (trotz häufiger Klagen gegen EZB-Anleihekäufe wegen angeblicher Mandatsverstöße).
  • [50] Wikipedia/NZZ-Zitat: Michael Rasch, NZZAug. 2022 – „Inflation bei neun Prozent – doch die EZB sorgt sich lieber um Italiens Nöte und unterwirft sich so dem ‘Club Med’.” – pointierte Kritik, dass EZB südeuropäischen Interessen (Italien) den Vorrang vor Inflationsbekämpfung gebe.
  • [18] Verfassungsblog – Darstellung der Diskussion in DE: Gegen TPI wird vorgebracht, dass EZB keine klaren Maßstäbe definierte, wann Zinsen „fundamental gerechtfertigt“ seien, und dass es nicht Aufgabe der Zentralbank sei, überschuldeten Staaten Reformverweigerung zu erleichtern (Moral-Hazard-Argument).
  • [52] ifo / Feld, Fuest, Wieland et al. – „If Countries Are Shielded… This Is Toxic for the Monetary Union”: Kritik, dass EZB nun Länder ohne ESM-Konditionen unterstützen will. Vage Kriterien ermöglichen Käufe quasi nach Belieben. Unklar, warum neues Instrument statt OMT genutzt wird – wohl weil ESM-Antrag politisch „toxisch“ sei. Doch indem die EZB Länder sowohl vor Marktkräften als auch vor politischen Verpflichtungen abschirme, schaffe das TPI selbst eine toxische Wirkung für die Stabilität der Währungsunion[52].

[1] [3] [7] [9] [10] [12] [25]  Transmission Protection Instrument (TPI) | Deutsche Bundesbank

https://www.bundesbank.de/de/aufgaben/geldpolitik/geldpolitische-wertpapierankaeufe/transmission-protection-instrument-tpi–896050

[2] [4] [32] [36] [37] [38] [39] [46] [49] [50] [53] Transmission Protection Instrument – Wikipedia

https://de.wikipedia.org/wiki/Transmission_Protection_Instrument

[5] [6] [8] [11] [20] [43] [48] TPI: Mit diesem Instrument will die EZB kriselnde Euro-Staaten retten – Capital.de

https://www.capital.de/wirtschaft-politik/tpi–mit-diesem-instrument-will-die-ezb-kriselnde-euro-staaten-retten-32565604.html

[13] [16] [21] [22] [23] [24] DIW Berlin: Einsatz des neuen EZB-Notfallprogramms TPI bisher nicht erforderlich

https://www.diw.de/de/diw_01.c.855612.de/publikationen/wochenberichte/2022_40_1/einsatz_des_neuen_ezb-notfallprogramms_tpi_bisher_nicht_erforderlich.html

[14] [18] [28] [30] Marktlogik ist kein Rechtsgebot

https://verfassungsblog.de/marktlogik-ist-kein-rechtsgebot/

[15] [17] [31] [40] [41] [42] [52] ifo Viewpoint 240: The ECB’s Toxic Bond-Purchase Program | Opinion | ifo Institute

https://www.ifo.de/en/opinion/2022-08-12/ifo-viewpoint-240-ecbs-toxic-bond-purchase-program

[19] ECB transmission protection instrument needs a ‘user manual’ – OMFIF

https://www.omfif.org/2022/08/ecb-transmission-protection-instrument-needs-a-user-manual/

[26] [27] [29] [47] Joachim Nagel: Bundesbank-Präsident verteidigt neues EZB-Instrument gegen Kritik – manager

https://www.manager-magazin.de/politik/europa/joachim-nagel-bundesbank-praesident-verteidigt-neues-ezb-instrument-gegen-kritik-a-237cb4f5-5600-4ca3-ac34-3890da103db8

[33] [35]  An easy way out – finanzielle Repression als leichter Weg aus den Schulden? | Deutsche Bundesbank

https://www.bundesbank.de/de/publikationen/forschung/research-brief/2024-70-finanzielle-repression-861008

[34] „Eine schleichende Enteignung der Sparer“

https://www.deutschlandfunk.de/eine-schleichende-enteignung-der-sparer-100.html

[44] [45] [51] Europäische Zentralbank: Transmission Protection Instrument – Wirtschaftsdienst

https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2022/heft/8/beitrag/europaeische-zentralbank-transmission-protection-instrument.html