Sprachprobleme in deutschen Grundschulen
Große Sprachprobleme in deutschen Grundschulen: Ausmaß, Ursachen und Lösungsansätze
Deutsche Grundschulen sehen sich zunehmend mit erheblichen Sprachproblemen bei ihren Schülern konfrontiert. Aktuelle Befunde zeigen, dass ein wachsender Anteil von Grundschulkindern die deutschen Sprachstandards nicht erreicht.
Beinahe ein Drittel der Grundschulkinder bekommt inzwischen bereits zum Schulstart Sprachförderbedarf attestiert. Bildungsforscher und Bildungspolitiker schlagen Alarm und diskutieren über Ursachen – von Migration über soziale Herkunft bis hin zu Folgen der Corona-Pandemie – sowie über mögliche Gegenmaßnahmen.
Im Folgenden beleuchtet dieser Artikel das Ausmaß der Sprachprobleme, die zugrunde liegenden Ursachen, regionale Unterschiede, Stimmen aus Politik und Wissenschaft sowie Lösungsansätze, um der Sprachkrise in der Primarstufe entgegenzuwirken.
Umfang und Verbreitung der Sprachprobleme in Grundschulen
Das Ausmaß der Sprachdefizite bei Grundschülern ist alarmierend. Untersuchungen in verschiedenen Bundesländern zeigen, dass bereits vor der Einschulung ein hoher Anteil der Kinder sprachliche Auffälligkeiten aufweist. So ergab ein Bericht des Landesgesundheitsamts Niedersachsen, dass im Einschulungsjahrgang 2022 bei 25,4 Prozent der untersuchten Vorschulkinder Defizite in der Sprachentwicklung festgestellt wurden. Dieser Wert lag sogar über dem bereits besorgniserregenden Trendwert von 23,7 Prozent, der auf Basis der Jahre vor der Pandemie erwartet worden war. In Baden-Württemberg zeichnete sich ein ähnliches Bild: Dort wird rund einem Drittel der Kinder zu Beginn der Grundschule ein Sprachförderbedarf diagnostiziert. Die Autorengruppe Bildungsberichterstattung bestätigt in ihrem neuesten Bericht eine große Spannbreite des Förderbedarfs im Vorschulalter – je nach Region sind zwischen 15 und 40 Prozent der Kinder auf zusätzliche Sprachförderung angewiesen.
Auch während der Grundschulzeit selbst manifestieren sich erhebliche Sprachprobleme. Der IQB-Bildungstrend 2021, eine bundesweite Leistungsstudie unter Viertklässlern, zeigt deutlich sinkende Kompetenzen im Fach Deutsch. Bundesweit verfehlten 18,8 Prozent der Viertklässler im Jahr 2021 die Mindeststandards im Lesen. Im Bereich Orthografie (Rechtschreibung) waren die Ergebnisse noch besorgniserregender: 30,4 Prozent der Kinder erreichten hier nicht einmal die minimalen Anforderungen. Insgesamt ist der Anteil der Schüler, die am Ende der 4. Klasse die Mindeststandards verfehlen, gegenüber 2016 in allen getesteten Kompetenzbereichen deutlich gestiegen – im Lesen und Mathematik um jeweils 6 Prozentpunkte, im Zuhören und in Orthografie sogar um 8 Prozentpunkte. Gleichzeitig sank der Anteil der Kinder, die den Regelstandard (den eigentlichen Zielwert) erreichen, um durchschnittlich 8 bis 10 Prozentpunkte. Diese Daten verdeutlichen eine Bildungskrise in den Grundkompetenzen: Immer mehr Schülerinnen und Schüler verlassen die Grundschule mit unzureichenden Sprachkenntnissen in Deutsch.
Ein Faktor dabei ist die wachsende sprachliche Heterogenität der Schülerschaft. Laut IQB-Studie sprechen bundesweit nur noch knapp 62 Prozent der Grundschüler (3. bzw. 4. Klasse) zu Hause ausschließlich Deutsch – ein Anteil, der in den letzten Jahren stark zurückging (2016 lag er noch bei 73 %, 2011 sogar bei 84 %). Immer mehr Kinder wachsen also mehrsprachig oder vorwiegend in einer anderen Familiensprache auf, was die Schulen vor zusätzliche Herausforderungen stellt, diese Kinder sprachlich fit für den Unterricht zu machen.
Ursachen der Sprachprobleme
Die Gründe für die großen Sprachprobleme in Grundschulen sind vielfältig und meist in einem Zusammenspiel mehrerer Faktoren zu sehen.
Experten und Studien nennen insbesondere folgende Ursachen:
- Migration und Familiensprache: Kinder aus Familien, in denen nicht vorwiegend Deutsch gesprochen wird, haben deutlich häufiger Sprachdefizite. In Baden-Württemberg haben über 70 Prozent der Grundschüler aus nicht-deutschsprachigen Elternhäusern zu Schulbeginn einen Sprachförderbedarf. Rund die Hälfte dieser Kinder erreicht selbst in Klasse 3 nicht die Mindeststandards in Lesen, Schreiben und Rechnen. Der steigende Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungshintergrund – bundesweit haben inzwischen über 40 % der Unter-15-Jährigen einen Migrationshintergrund – führt dazu, dass immer mehr Kinder mit eingeschränkten Deutschkenntnissen eingeschult werden. Entscheidend ist dabei weniger der Migrationsstatus an sich als die Sprachsituation im Elternhaus: Fehlt zu Hause die deutsche Sprache, wirken sich die Startnachteile erheblich auf die Schulleistungen aus.
- Soziale Herkunft und Bildungsferne: Eng verknüpft mit dem Sprachproblem ist die soziale Herkunft der Kinder. Untersuchungen zeigen, dass Kinder aus bildungsfernen Familien – also Familien mit geringem formalen Bildungsabschluss der Eltern – deutlich häufiger Sprachauffälligkeiten zeigen. In Niedersachsen wurde etwa bei Kindern aus solchen bildungsfernen Familien ein auffälliger Anstieg der Sprachdefizite festgestellt: Statt der prognostizierten 34,6 % wiesen 2022 tatsächlich 43,2 % dieser Kinder erhebliche Sprachentwicklungsrückstände auf. Sozial benachteiligte Elternhäuser bieten oft weniger sprachliche Anregung (z.B. seltener Vorlesen, geringerer Bücherbesitz), was die Sprachentwicklung der Kinder bremst. Die Bildungsschere geht hier immer weiter auseinander: Bildungsbenachteiligte und zugewanderte Kinder konnten Rückstände nach den Pandemie-Lockdowns deutlich schlechter aufholen als Gleichaltrige aus privilegierteren Familien.
- Mangelnde frühkindliche Sprachförderung: Viele Kinder erhalten vor der Einschulung nicht genügend systematische Sprachförderung. Zwar besuchen in Deutschland die meisten Kinder eine Kita, doch gerade bei Kindern mit Migrationshintergrund gibt es Lücken: Der Anteil der 3- bis 6-jährigen Kinder mit Migrationshintergrund in Kindergärten ist in den letzten Jahren von 85 % (2013) auf 78 % (2022) gesunken. Zudem erreichen die Bundesländer nicht alle förderbedürftigen Kinder mit verpflichtenden Angeboten. In einigen Ländern gibt es verpflichtende Sprachtests und Vorkurse im letzten Kindergartenjahr (z.B. „Vorlaufkurse“ in Hessen), doch diese greifen nicht überall. Experten monieren, dass frühe Sprachbildung oft zu spät oder lückenhaft einsetzt. Frühpädagogische Angebote wie das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ – das zusätzliche Sprachförderkräfte in Kitas finanziert hat – wurden zwar als erfolgreich bewertet, liefen aber Ende 2022 aus, was Befürchtungen über Förderlücken auslöste. Insgesamt gilt: Werden Sprachdefizite nicht vor Schulbeginn aufgefangen, tragen Kinder diese als Handicap mit in die Grundschule, wo sie dann aufwendig kompensiert werden müssen.
- Digitalisierung und Medienkonsum: Pädagogen und Mediziner weisen auf einen möglichen negativen Einfluss exzessiven Medienkonsums im frühen Kindesalter hin. Wenn Kleinkinder viel Zeit vor Bildschirmen verbringen, fehlt die direkte sprachliche Interaktion mit Erwachsenen – das tägliche Gespräch, Vorlesen und Spielen, durch das Kinder Sprache lernen. Studien belegen, dass übermäßige Bildschirmzeit die Sprachentwicklung verzögern kann: In einer aktuellen Untersuchung schadete jede zusätzliche Minute vor Smartphone oder Tablet der Sprachentwicklung, da Kleinkinder dann weniger Wörter lernen und weniger Laute üben. Bereits 30 Minuten passiver Medienkonsum pro Tag im Alter von 6 bis 24 Monaten verdoppeln das Risiko einer verzögerten Sprachentwicklung. Experten raten daher zu einem sehr sparsamen und begleiteten Einsatz digitaler Medien bei kleinen Kindern – idealerweise „bildschirmfrei bis drei“ Jahre, um den natürlichen Spracherwerb nicht zu beeinträchtigen. Auch im Grundschulalter kann ein hoher Fernseher- und Konsolenkonsum zulasten der Lese- und Sprechpraxis gehen. Hinzu kommt, dass Eltern selbst oft stark durch Smartphones abgelenkt sind und weniger mit ihren Kindern sprechen. Fehlen zu Hause gute Sprachvorbilder und reichhaltige Kommunikation, leidet die Sprachentwicklung der Kinder.
- Corona-Pandemie und Schulschließungen: Ein relativ neuer Faktor ist die Auswirkung der Pandemie. Die Jahrgänge, die 2020–2021 in der Kita oder Grundschule waren, litten unter monatelangen Einschränkungen, Distanzunterricht und fehlender Betreuung. Der IQB-Bildungstrend 2021, erhoben kurz nach den Lockdowns, zeigt deutliche Lernrückstände: Bildungsexperten führen die Verschlechterung der Deutsch-Leistungen zwischen 2016 und 2021 zu einem wesentlichen Teil auf pandemiebedingte Unterrichtsausfälle zurück. Die Viertklässler 2021 hatten zuvor im Schnitt 32 Wochen lang keinen regulären Präsenzunterricht – das entspricht fast drei Viertel eines Schuljahres. Besonders betroffen waren jene Kinder, die zu Hause weniger Unterstützung erhalten konnten. Bildungspolitiker sprechen von „schlimmen Folgen der Schulschließungen“ gerade für Kinder mit Lernproblemen. Zwar betont die wissenschaftliche Leiterin des IQB, Petra Stanat, dass auch vor Corona schon „zu viele Kinder nicht die Mindeststandards erreicht“ haben, doch haben sich diese Probleme in der Krise weiter verschärft. Kurz: Die Pandemie wirkte wie ein Brennglas auf bestehende Sprachdefizite und hat viele Kinder in ihrer Sprachentwicklung zusätzlich zurückgeworfen.
Regionale Unterschiede
Die Sprachprobleme in Grundschulen sind regional unterschiedlich stark ausgeprägt. Zwischen den Bundesländern zeigen Vergleichsstudien teils erhebliche Leistungsunterschiede, die oft mit dem sozialen Umfeld und dem Anteil der zugewanderten Familien zusammenhängen. Laut IQB-Bildungstrend 2021 bestehen zwischen dem best- und dem schlechtesten Bundesland Kompetenzdifferenzen von bis zu einem ganzen Schuljahr (im Bereich Lesen).
Besonders gut schneiden in Deutsch regelmäßig Süd- und Ostdeutschland ab. Bayern und Sachsen lagen 2021 in allen Kompetenzbereichen (Lesen, Zuhören, Orthografie, Mathematik) an der Spitze. In diesen Ländern erreichen vergleichsweise viele Kinder die Regelstandards, und nur relativ wenige verfehlen die Mindeststandards.
Bremen und Berlin hingegen bilden oft die Schlusslichter.
So scheiterten in Bremen 2021 rund 31 Prozent der Viertklässler an den Mindestanforderungen im Lesen – in Sachsen waren es demgegenüber nur etwa 13 Prozent. Auch Nordrhein-Westfalen und Berlin verzeichneten beim Lesen deutlich über 20 % leistungsschwache Schüler.
Ein ähnliches Bild zeigt sich im Bereich Hörverstehen (Zuhören): Während in Sachsen nur 10 % der Kinder die Mindeststandards im Zuhören verfehlten, lag dieser Anteil in Berlin und Bremen bei rund 27 Prozent. Besonders gravierend sind die Unterschiede in der Orthografie: In Berlin und Brandenburg konnte 2021 fast jedes zweite Kind die Mindeststandards in Rechtschreibung nicht erfüllen (jeweils ca. 46 %). In Bayern lag dieser Anteil bei „nur“ 20,5 %. Mit anderen Worten: In Berlin und Brandenburg haben rund doppelt so viele Grundschüler erhebliche Rechtschreibprobleme wie in Bayern.
Diese regionalen Differenzen korrelieren mit dem unterschiedlichen sozialen und sprachlichen Hintergrund der Schülerschaft. Stadtstaaten wie Bremen, Berlin oder auch Nordrhein-Westfalen (als bevölkerungsreiches Flächenland mit vielen Brennpunkt-Schulen) haben einen höheren Anteil an Kindern aus sozial benachteiligten oder zugewanderten Familien – was zu größerem Sprachförderbedarf führt. Demgegenüber profitieren Bundesländer wie Bayern oder Sachsen von vergleichsweise stabilen sozioökonomischen Verhältnissen und – im Fall der ostdeutschen Länder – noch immer geringeren Migrantenanteilen. Allerdings weist auch das Bildungsmonitoring darauf hin, dass in allen Ländern die Leistungen seit 2016 rückläufig sind. Besonders dramatische Kompetenzrückgänge wurden etwa in Berlin und Brandenburg registriert, die gegenüber 2016 in fast allen Bereichen stark nachließen. Insgesamt zeigen die Daten, dass kein Bundesland von der Sprachkrise völlig verschont ist, aber Problemregionen mit kumulierten Risiken deutlich stärker betroffen sind als andere.
Stimmen aus Bildungspolitik und Wissenschaft
Angesichts dieser Entwicklungen mehren sich Warnrufe sowohl aus der Bildungspolitik als auch von Wissenschaftlern. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) bezeichnete die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends 2021 als „alarmierende Ergebnisse, die uns aufrütteln müssen“. Sie wies darauf hin, dass der Anteil der Viertklässler, der die Mindeststandards nicht erreicht, viel zu hoch sei, und zog als Lehre aus den Pandemiejahren: „Flächendeckende Schulschließungen darf es deshalb nicht mehr geben“. Kurzfristige Programme allein reichen laut Stark-Watzinger nicht aus – nötig seien vielmehr „abgestimmte Maßnahmen […], die langfristig angelegt sind und durch Monitoring und Evaluation begleitet werden“. Als einen wichtigen Hebel nannte sie das geplante Startchancen-Programm, mit dem der Bund Schulen in schwierigen sozialen Lagen fördern will.
Auch von Seiten der Kultusministerkonferenz (KMK) kommt deutliche Kritik und Selbstkritik. Karin Prien, KMK-Präsidentin und Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, sprach von „gravierenden Folgen“ der Pandemie insbesondere für Kinder, die zu Hause weniger Unterstützung haben. Sie betonte, wie wichtig Präsenzunterricht und langfristige Fördermaßnahmen seien, um Lernrückstände aufzuholen, und forderte eine Verlängerung des Bund-Länder-Programms „Aufholen nach Corona“. Prien stellte jedoch auch fest, dass „schon vor der Pandemie seit 2011 negative Trends festzustellen sind“ und mahnte: „Wir müssen […] die Basiskompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen stärken!“. Ähnlich äußerte sich Ties Rabe, Hamburger Schulsenator, der die deutsche Corona-Schulschließungspolitik im Rückblick als Fehler bezeichnet und vom Bund weitere Unterstützung für die Länder fordert, um die entstandenen Defizite zu beheben.
Seitens der Wissenschaft wird insbesondere auf die anhaltenden strukturellen Probleme hingewiesen. Prof. Dr. Petra Stanat, die wissenschaftliche Leiterin des IQB, machte deutlich, dass nicht nur Corona schuld an den ungünstigen Leistungen sei: „Allerdings haben auch schon in den früheren Kohorten zu viele Kinder nicht die Mindeststandards erreicht. Um diese Kinder muss sich das Bildungssystem systematischer kümmern.“. Mit „systematischer“ Betreuung meint Stanat, dass förderbedürftige Schüler frühzeitig erkannt und kontinuierlich gefördert werden müssen – nicht nur punktuell. Michael Becker-Mrotzek, Direktor des Mercator-Instituts für Sprachförderung, plädierte dafür, frühkindliche Bildung und Grundschule stärker zu verzahnen, damit der Übergang fließender wird und Sprachförderung nahtlos weitergeht. Zudem betonen Forscher die Bedeutung von Monitoring: Die Wirksamkeit von Maßnahmen sollte laufend evaluiert werden, um nachjustieren zu können. Insgesamt herrscht Konsens, dass die Lösung der Sprachkrise langfristiges Engagement und Kooperation aller Beteiligten erfordert – „eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund und Ländern“, wie Senator Rabe es formulierte.
Mögliche politische und pädagogische Lösungsansätze
Angesichts der alarmierenden Befunde werden auf politischer und pädagogischer Ebene diverse Lösungsansätze diskutiert, um die Sprachkompetenzen der Grundschüler zu verbessern. Im Kern zielen sie darauf ab, frühzeitiger zu fördern, benachteiligte Kinder gezielt zu unterstützen und die Basisfähigkeiten konsequent zu stärken. Zu den wichtigsten Maßnahmen und Vorschlägen gehören:
- Früherkennung und verpflichtende Förderung: Bildungsexperten fordern, dass Kinder mit Sprachdefiziten bereits im Vorschulalter identifiziert und gefördert werden. So plädiert etwa die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) dafür, bundesweit alle Kinder mit vier Jahren einem Sprachtest zu unterziehen. Kinder mit Förderbedarf sollten dann verpflichtend eine vorschulische Förderung erhalten – sei es in Form eines zusätzlichen Sprachkurses oder durch eine Kita-Pflicht für Kinder mit Sprachdefiziten. Ahmad Mansour, Psychologe und Integrationsfachmann, argumentiert, dass eine konzentrierte Vorschulförderung notwendig ist, um zu verhindern, dass ganze Schulklassen von Schülern dominiert werden, „die die deutsche Sprache nicht beherrschen“ – was Lehrkräfte überfordere und die Leistungen aller drücke. Frühzeitige Förderung und ggf. ein zusätzliches Kita-Jahr für sprachschwache Kinder könnten hier entgegenwirken.
- Stärkung der frühkindlichen Bildung: Viele Fachleute sehen den Schlüssel zur Lösung in besserer Sprachbildung bereits im Kindergarten. Gefordert wird eine Aufstockung der Investitionen in Kitas, besonders in sozialen Brennpunkten. Programme wie die „Sprach-Kitas“ (mit zusätzlichem Fachpersonal) sollten fortgeführt oder von den Ländern dauerhaft übernommen werden. Zudem wird angeregt, den Elternzugang zu Kitas zu erleichtern, um die zuletzt rückläufige Betreuungsquote von Migrantenkindern wieder zu steigern. Thorsten Alsleben (INSM) betont: „Jeden Euro, den wir zielgerichtet in die frühkindliche Bildung investieren, spart uns später ein Vielfaches […] und trägt langfristig zu Fachkräftesicherung und Wohlstand bei.“. Frühförderung lohne sich also nicht nur pädagogisch, sondern auch volkswirtschaftlich.
- Eltern als Sprachpartner einbinden: Ein wichtiger Hebel liegt im Elternhaus. Eltern sollen stärker dafür sensibilisiert werden, die Sprachentwicklung ihrer Kinder zu unterstützen. Dazu gehören einfache Maßnahmen wie tägliches Vorlesen, häufiges Sprechen mit dem Kind (auch in der Muttersprache, falls die Eltern kaum Deutsch können, um generell Wortschatz und Grammatik zu vermitteln) und gemeinsames Erarbeiten von Sprache im Alltag. Zudem raten Kinderärzte und Logopäden dazu, Bildschirmzeiten strikt zu begrenzen – insbesondere in den ersten Lebensjahren. Die Devise lautet „Bildschirmfrei bis drei“: Kinder unter 3 Jahren sollten möglichst gar nicht vor Fernseher, Smartphone oder Tablet sitzen. Sozialminister Andreas Philippi (Niedersachsen) appelliert an die Eltern, auf altersgerechten Medienkonsum zu achten und sich aktiv mit ihren Kindern zu beschäftigen, um Sprache zu fördern. Eltern sollen als Sprachvorbilder agieren – d.h. bewusst viel und in ganzen Sätzen mit ihren Kindern reden, ihnen zuhören und sie zum Erzählen anregen. Viele Initiativen (etwa Lesepatenschaften, Elternkurse) setzen genau an dieser Stelle an.
- Gezielte Förderung in der Grundschule: Innerhalb der Schulen selbst wird eine Reihe pädagogischer Maßnahmen diskutiert, um sprachschwache Kinder zu unterstützen. Kleinere Klassen oder Lerngruppen in den ersten Schuljahren könnten es Lehrkräften erleichtern, individuell auf Sprachdefizite einzugehen (dies scheitert jedoch oft am Lehrkräftemangel). Weiterhin wird der Einsatz von zusätzlichem Förderpersonal empfohlen – etwa Sprachförderlehrkräfte oder Lehrkräfte für Deutsch als Zweitsprache (DaZ) an Schulen mit hohem Bedarf. Einige Bundesländer haben bereits Förderstunden in Deutsch für Kinder mit Defiziten eingerichtet. Auch Intensivprogramme zum Lesenlernen (Lesetrainings, Bibliotheksprojekte) und sprachsensibler Fachunterricht (bei dem in allen Fächern verstärkt auf Sprachvermittlung geachtet wird) gehören zu den Ansätzen. Als Reaktion auf die Pandemie wurde zudem das Bundesprogramm „Aufholen nach Corona“ verlängert und mit weiteren Mitteln ausgestattet, um Lernrückstände – gerade in Deutsch und Mathematik – aufzuholen. Dieses Programm finanziert etwa Nachhilfestunden, Sommerschulen und Förderangebote, wovon auch die sprachliche Entwicklung profitieren soll.
- Unterstützung für Brennpunktschulen: Weil Probleme sich oft in bestimmten Brennpunktschulen ballen, setzen politische Programme gezielt dort an. Das neue Startchancen-Programm des Bundes (geplant ab 2024) soll rund 4.000 Schulen mit hoher sozialer Belastung extra Ressourcen bieten – zum Beispiel durch zusätzliches Personal, Sozialarbeit, technische Ausstattung und Fördermittel. Bildungsexperten begrüßen diesen Ansatz, fordern aber eine deutlich breitere Ausweitung: Statt nur etwa 10 % der Schulen sollten bis zu 40 % der Schulen mit ungünstigem Sozialindex von solchen Förderprogrammen profitieren, um wirklich alle bedürftigen Regionen abzudecken. In der Praxis könnte dies bedeuten, mehr Schulen in ärmeren Stadtteilen und ländlichen Problemregionen ähnlich wie Community Schools zu stärken, damit sie den erhöhten Sprachförderbedarf bewältigen können. Auch eine bessere Durchmischung der Schülerschaft wird diskutiert – z.B. durch Schulwahlmodelle oder Einzugsgebiete –, damit nicht an einzelnen Grundschulen nahezu alle Kinder Sprachförderbedarf haben, wie Mansour anmerkt.
- Kontinuierliche Evaluation und langfristige Strategie: Sowohl Politik als auch Wissenschaft sind sich einig, dass schnelle Einzellösungen nicht ausreichen. Statt Aktionismus brauche es eine langfristige Strategie, die kontinuierlich auf Erfolge überprüft wird. Das Bildungssystem müsse Daten nutzen, um Fortschritte zu messen – etwa regelmäßige Sprachstandserhebungen in verschiedenen Klassenstufen. Die ständige wissenschaftliche Begleitung (Monitoring) von Förderprogrammen soll sicherstellen, dass wirksame Ansätze ausgebaut und weniger wirksame korrigiert werden. Außerdem wird vorgeschlagen, die Übergänge im Bildungssystem besser zu managen: Vom Kindergarten in die Grundschule und von dort in die Sekundarstufe sollte Sprachförderung nahtlos ineinandergreifen. Experten fordern, „Bildung in Kita und Grundschule stärker zusammen zu denken“ – z.B. durch gemeinsame Fortbildungen für Erzieher und Grundschullehrer oder durch den Austausch von Sprachförderkonzepten. Letztlich, so der Tenor, müsse Sprachbildung zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe werden, da gute Deutschkenntnisse die Grundlage für alle weiteren Bildungs- und Berufschancen sind.
Die wachsenden Sprachprobleme in deutschen Grundschulen stellen eine ernste Herausforderung für das Bildungssystem dar. Daten und Studien aus ganz Deutschland belegen sowohl das Ausmaß der Defizite – vom Vorschulalter bis zum Ende der Grundschulzeit – als auch die Vielschichtigkeit der Ursachen. Kinder aus zuwandernden oder sozial benachteiligten Familien sind besonders betroffen, was dringende Fragen der Bildungs- und Chancengerechtigkeit aufwirft. Ein „Weiter so“ kann es kaum geben, denn fehlende Sprachkompetenzen ziehen langfristig gravierende Folgen nach sich, von schlechteren Schulkarrieren bis hin zu eingeschränkten Berufsperspektiven.
Gleichzeitig gibt es Lösungswege, die von Bildungsexperten und Politikern aufgezeigt werden. Zentral ist dabei, früher anzusetzen – durch intensive Sprachförderung in der Kita und verpflichtende Unterstützung vor der Einschulung – und zielgerichtet zu fördern, etwa durch mehr Ressourcen für Schulen in schwierigen Lagen. Wichtig wird auch sein, Eltern mitzunehmen und für das Thema zu sensibilisieren. Die Erfahrungen der Pandemie haben verdeutlicht, wie unverzichtbar Schule als Lernort gerade für benachteiligte Kinder ist. Nun gilt es, mit langfristigen Maßnahmen gegenzusteuern. Erste Schritte wie die Verlängerung von Förderprogrammen und der geplante Startchancen-Fonds sind getan, doch Experten fordern eine deutlich intensivere und nachhaltigere Bildungsoffensive im Sprachbereich.
Die Herausforderung ist groß – doch die Sprache ist und bleibt der Schlüssel für Bildungserfolg. Nur wenn es gelingt, die sprachlichen Grundlagen aller Kinder zu legen, können auch die weiteren schulischen Fähigkeiten darauf aufbauen. Die großen Sprachprobleme in Deutschlands Grundschulen anzugehen, erfordert daher gemeinsames Handeln von Familien, Kitas, Schulen, Politik und Gesellschaft. Es ist eine Investition, die sich lohnt: „Gute Lese- und Sprachkompetenzen sind der Schlüssel“ für Integration, Bildung und die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
Quellen: Die im Artikel genannten Fakten und Zitate sind durch Studien und Berichte belegt, unter anderem durch den IQB-Bildungstrend 2021, Bildungsberichte der Länder, Analysen des ifo- und IW-Instituts, Mitteilungen der Kultusministerkonferenz sowie Experteneinschätzungen aus Wissenschaft und Praxis. Diese Quellen unterstreichen die Dringlichkeit, mit der das Thema Sprachförderung in der Grundschule angegangen werden muss.

